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So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

So sollst du schweigen: Roman (German Edition)

Titel: So sollst du schweigen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clara Salaman
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Nähe zu St.   Augustine’s zu tun hat. Als Schulmädchen hatte man uns gezwungen, stundenlang um den Serpentine Lake herumzurennen, was völlig übertrieben gewesen war. Ich musste allerdings zugeben, dass der Park aus heutiger Sicht sehr einladend wirkte. Ein herrlicher Frühlingstag neigte sich dem Ende zu: Die Bäume schlugen aus, erste Knospen und Blätter begannen zu sprießen, noch schlaff und erschöpft vom anstrengenden Geburtsprozess, und die Sonne stand am eisblauen Himmel.
    Ich war spät dran, aber guter Dinge. Gerade hatte ich einen Durchbruch mit den Jamesons erlangt, und in meinen Schritten lag eine federnde Zuversicht. Seit der Rückkehr aus Cornwall standen die Zeichen in mehrfacher Hinsicht auf Neubeginn, sowohl im Job als auch zu Hause. Ich hatte das Tor zu meiner Kindheit aufgestoßen und einen Blick auf meine Vergangenheit geworfen, was mir geholfen hatte, einen Ansatz für meine Strategie bei Gemma zu finden.
    Ich hatte die Zankereien zwischen Lesley und Michael ihretwegen beobachtet, während das arme kleine Ding zwischen ihnen saß, mit gesenktem Kopf, unsichtbar. Nach einer Weile hatte ich Gemma gebeten, mit ihrem Stuhl ein Stück näher zu mir zu rücken und ein paar Vorschläge zu machen, die ihrer Meinung nach helfen würden, um das Verhältnis ihrer Eltern zu verbessern. Im ersten Moment hatte sie mich mit offenem Mund angestarrt, fassungslos, dass ich ihre Meinung offenbar für relevant hielt, doch dann hatte sie sich zu mir gesetzt und zum grenzenlosen Erstaunen ihrer Eltern innerhalb kürzester Zeit deren Probleme auf den Punkt gebracht. Sie, die sie all die Jahre lang beobachtet hatte, wusste ganz genau, was Sache war. Ich glaube, wir alle gingen nach der Sitzung beflügelt nach Hause.
    Cornwall hatte mir geholfen, ein wenig Ballast abzuwerfen; danach hatte ich mich leichter gefühlt, so als hätte ich einen schweren Rucksack ausgemistet, den ich schon so lange mit mir herumtrug. Bestimmt war der Rucksack auch weiterhin mein Begleiter – daran bestand kein Zweifel –, aber zumindest war ich einen Teil seines Inhalts losgeworden. Und damit gelang es mir nicht nur, aufrechter zu stehen und den Kopf etwas höher zu tragen, sondern ich empfand auch den Druck, der auf mir lastete, als nicht mehr ganz so gewaltig. Mit einem Mal fühlte es sich an, als würde ich nach oben sehen – vielleicht noch nicht zum Himmel empor, aber zumindest nicht länger auf den Boden.
    Rein objektiv würde ich sagen, dass ich eine manische Phase durchlebte. Was sich in meinem Zusammenleben mit Joe auf höchst erstaunliche Weise auswirkte. Wir verstanden uns gut, zwischen uns herrschte blanke Harmonie, und Tilly war auffallend brav.
    Mittlerweile erschien es mir, als liege Cornwall eine halbe Ewigkeit zurück – ein Wochenende, bestimmt von blankem Wahnsinn, eine verkehrte Welt, eine träumerische Phantasie voll Sex und Leidenschaft. Ich hatte noch nie eine Affäre gehabt und war nicht darauf gefasst gewesen, wie unfassbar aufregend es sich anfühlen würde: das zufällige Streifen eines Arms, die flüchtige Berührung von Fingern beim Weiterreichen einer Teetasse, ein sehnsüchtiger Blick, die köstlichen Spuren, die der Geliebte hinterlässt – seine Wärme auf dem Stuhl, ein geliehener Pulli, der Geschmack des Biers in seinem Glas. Es hatte sich angefühlt, als lebten Steinberg und ich in einer Art Parallelwelt, einem Zustand des Zwielichts. Ich dachte an jenen kurzen Augenblick der Verrücktheit zurück, als ich nach oben gegangen war, um irgendetwas zu holen. Er war mir gefolgt, hatte mich ins Schlafzimmer geschoben, die Tür zugemacht und mich dagegen gedrängt, um mich zu küssen, zu berühren, mich mit dem Mund zu liebkosen. Es war leichtsinnig und gefährlich gewesen, was dem Ganzen eine so schmerzliche Erotik verliehen hatte.
    Den Rest des Wochenendes hatten wir damit zugebracht, uns abwechselnd aus dem Weg zu gehen und die Nähe zu suchen. Am Ende hatten wir die Telefonnummern ausgetauscht, ebenso wie mit allen anderen, und versprochen, uns zu melden, in Kontakt zu bleiben, ob es nun so sein würde oder nicht. Zwei Wochen lang hatte er mich praktisch täglich angerufen, doch ich hatte nicht reagiert. Ich sah das Ganze als das, was es war, und wollte diese Affäre nicht fortführen. Was wir getan hatten, war schön und wichtig gewesen, aber es gab keinen Grund, damit weiterzumachen. Ich glaubte nicht an die Macht des Schicksals und solche Dinge. Das Einzige, was ich mit Gewissheit sagen konnte,

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