So sollst du schweigen: Roman (German Edition)
Zähne und sah mich kurz an, als wäre ich aus irgendeinem Grund dafür verantwortlich. Ich senkte den Blick. Ich wusste, dass meine Mitschülerinnen mich aufzuheitern versuchten, und allein ihrer Unterstützung hatte ich zu verdanken, dass ich am Leben blieb. Ihr und meinem Geheimnis.
»Noch jemand?«, fragte sie und ließ den Blick über meine dreiundzwanzig Kameradinnen schweifen.
Jemand musste die Hand gehoben haben, denn ich sah Miss Fowler kurz nicken, dann hörte ich erneut das Scharren von Stuhlbeinen, diesmal ganz hinten.
Das Räuspern verriet mir, dass es Deborah war. »Ich war zu Hause im Garten und habe die Vögel in ihrem Vogelbad gefüttert. Einer landete direkt auf meiner Hand, und ich sagte laut das Wort aham , und da flog er weg.«
Deborah hatte den Sinn und Zweck dieser Übung noch nie so richtig begriffen, so dass ich, neben einigen anderen, mich nicht beherrschen konnte und in prustendes Gelächter ausbrach.
»Raus!«, rief Miss Fowler und rammte mir ihren Finger in den Oberschenkel, woraufhin ich aufstand und nach draußen ging. Auf dem Weg erhaschte ich einen Blick auf Amy, die alle Mühe hatte, nicht laut hinauszulachen. Ihr Gesicht war kreidebleich, und ihre Mundwinkel zuckten, als hätte sie den Mund voll Erbrochenem.
Ich schloss die Tür zum Klassenzimmer hinter mir und ließ mich gegen die Wand sinken.
Nach einer Weile sah ich auf die Uhr. Noch zwölf Minuten bis zum Ende der Stunde. Miss Fowler würde mich garantiert nicht wieder hereinrufen. Das war sie. Die Gelegenheit. Mein Herz begann zu hämmern. Endlich war der Moment gekommen.
Ich linste die Treppe hinauf, doch das Gebäude war verwaist. Monotone Gesänge aus einem der Klassenzimmer wehten herüber.
»… du, der du dieses Universum geschaffen hast!«
Ich schlich mich an den beiden angrenzenden Türen vorbei und die Treppe hinunter. Sarah Martin stand vor der ersten Tür. Ich empfand große Sympathie für sie, denn auch sie verbrachte den Großteil ihrer Schulzeit vor und nicht im Klassenzimmer. Obwohl sie jünger war als ich, hatten wir in dieser Hinsicht einiges gemeinsam. Wir begrüßten uns mit einem kurzen »Hi«, als ich an ihr vorbeiging.
Ich lief die nächste Treppe hinunter, vorbei an Zimmer 8, aus dem griechische Worte drangen. Ich hörte Mr Steinbergs Stimme, der mit der Klasse skandierte: »Andra moi ennepe, Mousa, polouputropon hos mala polla.« Die griechischen Worte verschmolzen mit Sanskrit aus Zimmer 7: »Ak, ach at, aah, aam, eek.« Als Nächstes gelangte ich zu Zimmer 4, aus dem das unmissverständliche Gebimmel vedischer Glöckchen und Mädchenstimmen zu hören war. »Ta taah ta tahh tay tat a tay tat a«, während sie im Gleichklang mit den Füßen aufstampften.
Ich spähte über die Brüstung und flitzte die nächsten Stufen des rot gestrichenen Treppenhauses hinunter. Keine Menschenseele weit und breit. Leise klopfte ich an die Tür des Arbeitszimmers. Nur für alle Fälle. Dann öffnete ich sie, ging geradewegs zum Schreibtisch, zog die Schublade auf und nahm den Schlüsselbund heraus. Ich wusste genau, nach welchem ich suchte. Dann trat ich vor den Schrank und schloss die richtige Tür auf. Da ich nicht bis zum Regal hinaufreichen konnte, zog ich einen der Stühle heran und stellte mich darauf, so dass ich zwei Plastiktüten mit getrockneten Kräutern heranziehen konnte. Ich öffnete die größere der beiden und roch daran. Minze. Ich legte sie zurück und nahm die andere Tüte heraus, deren Boden von einer kleinen Menge modrig riechender Kräuter bedeckt war – eine von Dr. Fox’ Mixturen, garantiert. Ich zog meinen Umschlag heraus, ließ etwas von den getrockneten Fingerhutblättern hineinrieseln und schüttelte sie, damit sie sich mit den Kräutern vermischten. Dann verschloss ich die Tüte, legte sie wieder ins Regal, sprang vom Stuhl und schob ihn zurück. Eilig verschloss ich den Schrank, legte die Schlüssel in die Schublade und verließ das Zimmer. Schritte näherten sich aus dem Küchentrakt, doch ich lief zum Treppenhaus und rannte hinauf. Sarah Martin war inzwischen in ihre Klasse zurückgekehrt. Atemlos erreichte ich das obere Stockwerk, lehnte mich gegen die Wand und sah auf meine Uhr. Noch acht Minuten bis zum Ende der Stunde. Kein Laut drang aus dem Klassenzimmer: Offenbar übten sie eine Beobachtung. Ich versuchte, meine Atemzüge zu drosseln. Ich hatte es getan. Es war zu spät, umzukehren.
6
Der Hyde Park ist der Park Londons, den ich am wenigsten mag, was mit seiner
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