So sollst du schweigen: Roman (German Edition)
war, dass ich die Organisation nicht als Bestandteil meines Lebens haben wollte, ganz gleich, in welcher Form und Ausprägung. Es gab nun einmal Dinge, die lieber nicht mehr ausgegraben und ans Tageslicht geholt werden sollten. Ich würde Amy wiedersehen, weil wir beide der Organisation den Rücken gekehrt hatten, aber ich würde mit niemandem Kontakt halten, der noch dabei war. Irgendwo musste ich die Grenze ziehen, und ich wusste genau, wo. Und deshalb war ich hergekommen.
Offenbar hatte Steinberg mich gesehen, bevor ich ihn bemerkte. Er saß auf der verabredeten Bank, die einen Blick auf den Serpentine Lake bot. Mir fiel auf, dass sein Haar länger war, was ihn noch ein wenig jungenhafter aussehen ließ als sonst. Er trug einen langen blauen Wollmantel und hatte sich einen dieser Streifenschals im Studentenstil um den Hals drapiert, wie man ihn heutzutage trägt: lässig ineinandergeschlungen. Angehörige der Organisation durften so etwas eigentlich nicht tun. Es war verpönt, modisch wirken zu wollen. Es galt als unschicklich, die urzeitlichen Lebensprinzipien mit einem modernen Kleidungsstil zu verknüpfen. Ich hoffte nur, dass er sich nicht meinetwegen so viel Mühe gemacht hatte. Aber wahrscheinlich war eher Megan diejenige gewesen, die ihm dieses Outfit verpasst hatte.
Er sah mich an, wie es nur ein Liebhaber tun kann; voller Besitzerstolz, als hätte er gerade eine Probefahrt mit seinem brandneuen Wagen absolviert, doch auch die Bindung an materielle Dinge war den Leuten aus der Organisation verboten. Sie lehnten materiellen Besitz rundweg ab. Sollte ich deshalb vielleicht eher sagen, er sah mich an, als wäre ich eine brandneue Seite von Sri Chabaranshas Weisheiten? Nein, dieser Heuchler, er betrachtete mich mit aller Lust und allem Verlangen, die die Welt der Körperlichkeit nur aufbringen konnte. Er lechzte danach, mich zu besitzen.
Ich setzte mich neben ihn, und wir küssten uns wie alte Bekannte auf die Wangen, wobei mir auffiel, dass wir uns beide verstohlen umsahen. Wir wirkten reichlich zwielichtig in unseren dunklen Mänteln, wie zwei KGB -Agenten bei einem konspirativen Treffen. Er rückte ein wenig näher.
»Leibhaftig bist du sogar noch schöner als in meiner Phantasie«, sagte er, während ein hinreißendes Lächeln um seine Mundwinkel spielte.
»Ist das so, Caveman?«, gab ich zurück.
»Wie geht es dir?«
»Gut.«
Er sah mir in die Augen. Frisch gebackene Liebhaber brauchen diese Form der Bestätigung.
»Ich habe ununterbrochen an dich gedacht«, fuhr er fort.
»Ja?«
»O ja. Ich bin völlig fertig.«
Leidenschaft zwischen zwei Menschen ist schon eine merkwürdige Sache: Es war fast, als sitze jemand Drittes bei uns; ein wildes, entfesseltes Tier, das sabbernd und verzweifelt vor Sehnsucht auf der Bank zwischen uns kauerte. Ich stieß die Kreatur unsanft herunter.
»Es darf nicht mehr passieren, Steinberg.«
Er stieß einen vernehmlichen Seufzer aus und löste sich von mir. »Ich wusste es!«, sagte er und verzog das Gesicht. »Ich wusste, dass du genau das sagen würdest!«
Er lehnte sich auf der Bank zurück, streckte seine langen Beine aus und kreuzte die Knöchel, ehe er die Hände im Nacken verschränkte und mich ansah. »Sag mir noch mal den Grund dafür. Ich vergesse ihn ständig.«
»Du kennst ihn ganz genau.« Ich zog eine Zigarette heraus. »Wegen dieser unwesentlichen Kleinigkeiten … Frau, Kinder, Ehemann.«
»Seid ihr etwa verheiratet?«
»So gut wie!« Was für eine interessante Behauptung! Ich zündete die Zigarette an.
»Das solltest du dir abgewöhnen.«
»Ja, ja«, erwiderte ich.
Er machte Anstalten, meine Hand zu nehmen, doch ich entzog mich ihm. »Steinberg, wir dürfen das nicht zulassen.«
Er wandte sich mir zu, einen Arm auf der Rückenlehne der Bank, und beugte sich mit einem angedeuteten Lächeln zu mir. »Ich will dich«, sagte er leise. »Ich will dich! Ich will dich!«
Ich nahm einen tiefen Zug.
»Blas mir den Rauch ins Gesicht!«
Ich gehorchte, woraufhin er ihn einsog. »Siehst du? Ich liebe sogar die Luft, die du verpestest.«
»Hör auf!«, fuhr ich ihn an, als wäre er ein nervtötender Schuljunge.
»Sag mir, dass du mich nicht willst. Los, sag es! Los!«
»Ich will dich nicht!«
»Sieh mir in die Augen und sag es!«
Ich schlug die Beine übereinander, wandte mich ihm zu und sah ihm mit einem Seufzer in die Augen. »Ich will dich nicht.«
Lächelnd schüttelte er in gespielter Verzweiflung den Kopf. »Du lügst«, sagte er.
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