Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So unselig schön

So unselig schön

Titel: So unselig schön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
Vom Netzwerk:
die abgedunkelten Scheiben das Haus. Alles war ruhig. Der Ofenbauer hatte vor zehn Minuten seinen Lieferwagen mit Schamottesteinen und Werkzeug beladen und war weggefahren. So bald würde er nicht wiederkommen. Die Zahnarztpraxis war über Mittag geschlossen, ebenso das Küchenstudio. Lediglich der Architekt saß hinter dem Fenster vor seinem PC und blickte ab und an in den Hof.
    Im Rückspiegel sah er eine Frau mit Kinderwagen und einen älteren Herren mit Einkaufstasche und Gehhilfe langsam näher kommen. Als beide den Wagen passiert hatten und um die Ecke verschwanden, verließ er sein Fahrzeug. Noch einmal vergewisserte er sich, dass ihn niemand sah, dann griff er über den niedrigen Staketenzaun, schob die Zweige des Flieders auseinander und stieg hinüber. Hinter ihm schlossen sich die Äste und schützten ihn vor neugierigen Blicken. Auch für die Nachbarn war er unsichtbar, wie er feststellte. Ein Dickicht von Sträuchern umgab den winzigen Garten.
    Ein türkisfarben gestrichener Stuhl stand neben der Terrassentür auf dem Rasen. Er musste also nicht durchs Fenster rein, sondern konnte durch die Tür gehen. Vorausgesetzt, es stimmte, was er im Internet nachgelesen hatte. Er zog den Schraubenzieher aus der Jackentasche, steckte ihn zwischen Türblatt und Türstock, drückte ihn mit aller Kraft nach unten und schob so die Tür nach oben, bis die Zapfen ächzten. Gleichzeitig lehnte er sich mit dem ganzen Körpergewicht gegen die Scheibe. Mit einem leisen Ploppen öffnete sich der Zugang zur Wohnung.
    Das Zimmer, in das er trat, sah ärmlich aus. Angeschrammte Möbel, die vermutlich vom Sperrmüll oder Flohmarkt stammten, ein Regal voller Bücher und Krimskrams, ein Schreibtisch mit PC . Unter dem Fenster stand ein Terrarium.
    Das Bett war nicht gemacht, das Laken zerwühlt, die Decke hing bis auf den Boden. Dieses Bett. Vielleicht hätte er irgendwann … Doch dieses Irgendwann war zur Illusion geworden.
    Sie hatte ihn nicht zufällig gefunden.
    Deshalb war er hier.
    Er wollte Gewissheit.
    Zimmer und Küche zu durchsuchen dauerte nicht lange. Er fand nichts. Hatte er sich getäuscht? Tat er ihr unrecht? Dieser Gedanke erzeugte eine angenehme Ruhe, die sich zu der pharmazeutisch erzeugten von Valium gesellen wollte.
    Seit vorgestern gelang es ihm nicht mehr, sich ganz und gar auf das zu konzentrieren, was er tat. Tue, was du tust. Es glückte ihm nicht länger. Seit diese eine Erinnerung die dünne Trennschicht überwunden hatte und in sein Bewusstsein zurückgekehrt war, gelang dies auch anderen. Sie überfluteten ihn geradezu.
    Wieder sah er die Hand, die ihn schlug, wieder erinnerte er sich an sein Erstaunen, seine Fassungslosigkeit, seine Scham. Mit ein paar unschuldigen Sätzen hatte er etwas offenbart, von dem er bis dahin gar nicht gewusst hatte, dass es ein Geheimnis war.
    Seine verdammte ewige Suche nach dem Schönen!
    Er lachte bitter auf.
    Schönheit war nur die eine Seite eines Januskopfes. Ohne das Hässliche konnte sie nicht bestehen. Mit aller Kraft hatte er sich ein Leben lang an diese schöne Seite geklammert, hatte versucht zu verhindern, dass der Kopf ihm sein anderes Gesicht zuwandte. Und nun war genau das geschehen. Janus, der Gott des Anfangs und des Endes.
    Er ließ sich auf ihr Bett sinken, rollte sich auf die Seite, schob seinen Kopf in ihr Kissen, roch den Duft ihrer Haare, ihrer Haut. Ein wenig süß und doch herb, ein Hauch von Erde und Wind. Eine zarte Hoffnung keimte in ihm. Vielleicht würde alles gut werden … nein, nichts konnte je wieder gut sein. Der andere in ihm, der doch er selbst war, hatte Dinge getan … Eine eisige Hand griff nach seinem Herz. Nicht daran denken. Nur nicht daran denken.
    Eine Weile blieb er noch liegen, strich mit der Hand über das Kopfkissen, auf dem ihre Wange gelegen hatte, ihr Haar. Dann fiel sein Blick auf den Computer. Dort hatte er noch nicht nachgesehen. Sicher war der Rechner mit einem Passwort geschützt, würde seine Geheimnisse für sich behalten.
    Dennoch stand er auf, ging hinüber an den kleinen Tisch, setzte sich und startete den PC . Mit leisem Surren ging er an, der Monitor wurde hell, aber die erwartete Eingabemaske für ein Passwort erschien nicht.
    Als Erstes öffnete er das Mailprogramm und las sich eine Weile durch ihre elektronische Post. Bis er einen Brief an einen gewissen Kai entdeckte. War das ihr Freund?
    Nach einem Doppelklick erschien die Nachricht auf dem Monitor. Das angehängte Foto zeigte die Karte aus dem Atlantic,

Weitere Kostenlose Bücher