So unselig schön
wichtigste Frage, die nach seinem Australienaufenthalt. Falls Wernegg sich darüber wunderte, ließ er sich das nicht anmerken und erteilte die gewünschte Auskunft. Vor sechs Jahren hatte er in Canberra als Gaststudent bei einem Ehepaar Mackay in der Vasey Cres gewohnt und die University of Canberra besucht.
Dühnfort verabschiedete sich. Beinahe halb zwölf. Seit achtzehn Stunden war er auf den Beinen. Er war müde und hungrig. Bevor er den PC ausschaltete, schrieb er noch schnell eine Mail an Moritz Russo mit dem Auftrag, Werneggs Australien-Angaben zu überprüfen, da Alois noch mit Buthlers Daten beschäftigt war.
Zu Alfredos in der Maximilianstraße war es nicht weit. Dühnfort machte sich auf den Weg. Die Wärme des Tages hatte sich zwischen den Häusern gefangen, die Nachtluft war lau, auf den Stufen der Löwengrube saßen vereinzelte Gruppen und Pärchen. Im Park am Marienhof spielte jemand Gitarre, einen alten Cohen-Song, und unter den Arkaden gegenüber der Oper saßen an damastgedeckten Tischen Besserverdienende bei Lachscarpaccio und Prosecco. Dühnfort wechselte die Straßenseite und erreichte kurz danach das Alfredos. Zwei Buchsbäume in Kübeln flankierten den Eingang. Daneben stand, wie gerufen, der Koch. Die karierte Hose zerknautscht, die doppelreihige weiße Jacke hingegen tadellos sauber, als sei er eben erst hineingeschlüpft. Er zog an einer Zigarette, die Glut glimmte auf.
Dühnfort trat näher und zeigte seinen Dienstausweis vor.
Das Gespräch dauerte nicht lange. Der Volvo hatte an jenem Abend direkt vor dem Lokal gestanden. Wernegg war Stammgast und parkte häufig hier. Etwa gegen neun Uhr hatte der Koch das Knöllchen entdeckt, die Parkzeit war abgelaufen. Kurz vor Mitternacht hatte er Wernegg dann aus seinem Büro kommen sehen. »Es ist ja gleich dort drüben.« Der Mann wies auf die andere Straßenseite. »Wir haben uns noch kurz unterhalten. Dann ist er gefahren.«
»Wie hat er auf Sie gewirkt?«
»Wie er auf mich gewirkt hat?«
»War er nervös oder gereizt? War er anders als sonst, war irgendetwas auffällig?«
Der Koch sog an der Zigarette, warf dann die Kippe auf den Boden und trat die Glut aus. »Auf mich hat er den Eindruck eines Mannes gemacht, der einen langen und anstrengenden Arbeitstag hinter sich hat«, sagte er schließlich und musterte Dühnfort. »So wie Sie.«
»Gut«, erwiderte Dühnfort. Sein Magen knurrte. »Hat Ihre Küche noch auf?«
Der Koch schüttelte bedauernd den Kopf und wies auf die Uhr an seinem Handgelenk. Gleich Mitternacht.
In Gedanken durchforstete Dühnfort seinen Kühlschrank. Ein wenig verlockendes Bild entstand.
Also kaufte er sich auf dem Heimweg Sushi zum Mitnehmen und setzte sich damit zu Hause auf den Balkon. Von weiter unten drangen leise Gesprächsfetzen herauf. Windlichter leuchteten in Gläsern. Neue Mieter. Dühnfort entkorkte eine Flasche gekühlten Soave, schob die damit verbundene Erinnerung an Agnes beiseite und schenkte ein Glas voll.
Wernegg, Buthler. Ein ungutes Gefühl, wie ein feuchtes Stück Seife. Nichts, das einen Durchsuchungsbeschluss bei Wernegg rechtfertigen würde, geschweige denn bei Buthler. Er brauchte endlich etwas Handfestes.
Kühl rann der Wein seine Kehle hinab, legte sich in seinen Magen wie ein weiches Kissen und ließ ihn langsam entspannen. Er streckte sich, legte die Füße auf das Gitter aus Schmiedeeisen, beobachtete das Flackern des Grablichts unten auf dem Friedhof, dessen tanzende Schatten dem bröselnden Marmorengel auf dem Musikergrab ein unheilvolles Lächeln ins Gesicht zauberten.
Wo konnte er ansetzen, um dieses glitschige Seifenstück zu fassen zu bekommen? In Gedanken ging er die Fälle durch, aß Sushi und leerte nach und nach die Flasche Wein. Dabei hörte er von unten leise das helle Lachen einer Frau und das dunklere eines Mannes. Bald darauf verstummten die Stimmen und gaben einem leisen Stöhnen Raum, das endete, als die Balkontür geschlossen wurde.
In die laue Nachtluft mischte sich die kondensierende Feuchtigkeit des Tages. Es wurde kühl auf dem Balkon, und Dühnfort ging hinein. Auf dem Weg ins Bett kam ihm die Idee.
D ONNERSTAG , 17. J UNI
Dühnfort saß vor seinem Computer, als Gina hereinkam und mit dem Durchsuchungsbeschluss für die Klinik wedelte. »Auf in die Katakomben.«
»Ich komme nicht mit. Übernimm du das.«
»Wie, du kommst nicht mit? Bist du jetzt beleidigt, weil ich den Beschluss beantragt habe, ohne das mit dir abzusprechen?«
Herrgott, weshalb suchte
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