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So unselig schön

So unselig schön

Titel: So unselig schön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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gestürzt hatte, war Dühnfort die Treppe zum Bahnsteig hochgespurtet. Wie durch ein Wunder hatte Wernegg den Unfall überlebt, wenn auch mit schwersten Verletzungen. Wie durch ein Wunder, das hatte der Arzt gesagt, mit dem Dühnfort kurz gesprochen hatte. Schädel-Hirn-Trauma, Milzriss, zwei amputierte Gliedmaßen, Verletzungen des Beckens und etliche Knochenbrüche. Wernegg war ohne Bewusstsein, und es bestand kaum Aussicht, dass er die Nacht überleben würde. Das Wunder war keines. Es war Qual.
    Dühnfort wandte sich vom Fenster ab und massierte sich mit einer Hand die verspannte Nackenmuskulatur. Ein sinnloses Unterfangen.
    Der Durchsuchungsbeschluss lag auf seinem Schreibtisch, Werneggs Schlüsselbund daneben. Weshalb zögerte er? Er wollte das nicht sehen, von dem er überzeugt war, es in Werneggs Haus zu finden. Wahrheit. Was war Wahrheit? Und was Gerechtigkeit? Illusion.
    Eine heiße Dusche, ein Glas Merlot oder besser eine Flasche, Eric Clapton unplugged, ein Angus-Steak, medium gebraten. Jemand, mit dem er reden konnte. Er atmete durch, griff nach den Schlüsseln. »On y va.«
    Alois’ Stirn legte sich in Falten. »Reicht Merde nicht mehr? Bekommen wir jetzt Französischunterricht?«
    Gina straffte sich und löste sich vom Türrahmen, während sie Alois’ einen finsteren Blick zuwarf. »Lasst uns gehen und das hinter uns bringen.« Sie griff sich den Durchsuchungsbeschluss, und Dühnfort hätte beinahe gelacht. Wem wollte sie den präsentieren?
    Sie fuhren durch die regnerische Nacht. Die Scheibenwischer quietschten, die Lichter blendeten. Gina auf dem Beifahrersitz schwieg.
    Der Schlüssel glitt lautlos ins Schloss. Lichter flammten in Flur und Treppenhaus auf, dann in Wohnzimmer und Küche, bis das ganze Haus leuchtete, als solle es für eine Filmaufnahme in Szene gesetzt werden.
    Dühnfort stand im Flur, spürte der Leere des Hauses nach. Es zog ihn nach oben und nicht, wie Gina und Alois, in den Keller. Zögernd ging er die Stufen hinauf, öffnete Türen, die in ein Schlafzimmer führten, in ein Badezimmer und noch ein weiteres, ein Kinderzimmer, das seit einer Ewigkeit unberührt schien. Ein Teddybär auf dem Bett, ein Papierdrachen an der Wand. So einer, wie Dühnfort ihn vor Jahrzehnten mit seinem Vater gebastelt hatte. Was-ist-was-Bücher im Regal, Lego in einer Kiste, Kosmos-Baukästen im Schrank.
    Dühnfort folgte der Kraft, die ihn weiterzog, eine Treppe höher in das ausgebaute Dachgeschoss. Eine verschlossene Tür. Er wappnete sich, betrachtete die Schlüssel in seiner Hand, fand instinktiv den richtigen und trat in Dunkelheit.
    Er roch es sofort. Terpentin, Malmittel, Ölfarbe. Zögernd tastete er nach dem Lichtschalter und atmete ein weiteres Mal durch. Was sollte er dem entgegensetzen, das ihn nun erwartete? Woher die Kraft nehmen weiterzumachen? Die Suche nach Gerechtigkeit, nach Ausgleich der Waagschalen, das war es, was ihn bisher angetrieben hatte. Nadines Eltern, ihr ehemaliger Freund, der mit ihr hätte alt werden wollen, Janas Freundin, alle hatten ein Recht darauf zu erfahren, was geschehen war, damit sie abschließen konnten, Gewissheit hatten. Doch wie sollte man damit abschließen?
    Er ließ den Arm sinken, blieb im Dunkeln stehen. Neben Terpentin roch er noch etwas anderes. Eine faulige Note, mit einer metallischen Komponente.
    Tastend fand er den Schalter. Das Licht ging flackernd an.
    Es war, wie er es erwartet hatte. Vorstellung wurde Wirklichkeit. Was er bisher vermutet hatte, erwies sich als real, wurde greifbar, materialisierte sich in all seinem Schrecken in einer kunstvollen Kulisse.
    Eine geschliffene Kristallvase. Verblühende Pfingstrosen, deren süßer Duft im Raum hing, ihm den Atem nahm. Ein Blütenblatt löste sich, fiel auf eine Kommode aus Nussholz, gesellte sich zu anderen, die in getrockneten Schlieren von dunklem Blut klebten.
    Dort auf dem Nachttisch wie Ranunkeln auf dem Teich;
    Verschwommen und gedankenleer
    Stiehlt ein verdrehter Blick wie Dämmrung bleich
    Sich aus den Augen her.
    Dühnfort stöhnte und fuhr sich über das Kinn.
    Das Bett, mit weißer Wäsche bezogen. Ein Laken, das nicht mehr überall weiß war. Zerdrückte Kissen, der vage Abdruck eines Körpers. Eine Fotografie auf einer Staffelei, auf der ein kopfloser Leichnam zu erkennen war. Das unvollendete Gemälde auf einer zweiten Staffelei, altmeisterlich gemalt, in der Bildmitte ein marmorweißer Torso. Eine rote Spur auf dem Boden, an deren Ende ein eingetrockneter Pinsel. Ein abgewetzter

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