So unselig schön
Ledersessel, eine CD -Anlage.
Es gab Momente in Dühnforts Leben, in denen er gerne an einen Gott geglaubt hätte, an einen Sinn hinter all dem, was sein täglich Brot war.
Er hatte recht gehabt. Na und? Er hatte einen Mörder überführt. Es war egal. Es konnte keine Strafe geben, keine Gerechtigkeit und nie und nimmer einen Sinn.
Eine Welle der Kraftlosigkeit wollte ihn vom Boden spülen und mit sich reißen. Doch er stemmte sich mit aller Macht dagegen. Wenn er jetzt nachgab, müsste er aufgeben. Er ließ sich in den Sessel fallen, stand wieder auf, starrte auf das Gemälde und ahnte plötzlich die Wärme eines Körpers hinter sich. Er drehte sich nicht um, bis jemand nach ihm griff. Gina.
»Buchholz ist unterwegs. Ihm und seinen Jungs sind wir nur im Weg. Wir machen jetzt Feierabend.«
***
Der Merlot lag dunkel im Glas. So dunkel wie die Nacht auf seinem Balkon, so dunkel wie der Friedhof unter ihm, so dunkel wie seine Gedanken. Eilig leerte er das Glas zur Hälfte. Nur Ginas Anwesenheit hinderte ihn daran, es ganz zu leeren.
» Ich lasse das zu nah an mich ran. Ja?« Ginas Augen konnte er im Halbdunkel mehr ahnen als sehen. Sie saß neben ihm auf der schmalen Bank, ein Glas in der Hand, wie er. Was sollte er dazu sagen? Es gab nichts zu sagen. Morgen würde die Welt wieder anders aussehen. Morgen würde er seine berufliche Distanz wiedergefunden haben. Diese Nacht gehörte den Geistern, die er nicht abschütteln konnte. Einen Rest Empathie musst er sich bewahren. Und einen Rest Mitleid. Ohne sie wäre seine Arbeit unerträglich.
Der Regen setzte wieder ein, ein feines Nieseln. Er leerte das Glas, schenkte sich nach und warf dabei einen Blick auf ihres. Sie hatte nur daran genippt. Musik klang leise aus der Küche. Hatte sie die Anlage eingeschaltet? Nein. Das hatte er getan, als er im Kühlschrank nach etwas Essbarem gesucht hatte. Eric Clapton unplugged.
Das Nieseln verstärkte sich. Gina stand auf und ging hinein. Einen Augenblick blieb er noch sitzen, spürte dem Wein nach, der ihn entspannte, sich zwischen ihn und die Bilder schob, dann stand auch er auf und nahm die Flasche und die Gläser mit. In der Küche war es dunkel. Nur die Leuchtdioden der CD -Anlage warfen einen gespenstischen Schein. What’ll you do when you get lonely, no one waiting by your side? Eric Claptons Stimme füllte die Wohnung. War Gina grußlos gegangen? Dieser Gedanke versetzte ihm einen Stich. Mit einem Schluck trank er das Glas leer und goss den Rest aus der Flasche hinein.
»Wie bist du auf ihn gekommen?« Gina trat vom Flur wieder in die Küche. Er sah ihre Silhouette im Gegenlicht der Flurbeleuchtung.
Er erklärte es ihr. Wernegg hatte seinen Volvo zur Inspektion in sein Autohaus gebracht, das auch Fiat vertrieb. Dabei hatte er den Fiat Punto für eine verlängerte Probefahrt erhalten. Angeblich war der Wagen für seine Mitarbeiterin bestimmt, anstelle einer Gehaltserhöhung, da deren altes Auto ständig streikte. Nur hatte sie den Punto nie gesehen. »Außerdem gibt es in Werneggs Lebenslauf einige Parallelen zu dem Baudelaires.« Seine Zunge war schwer. Eine entspannte Ruhe hatte ihn erfasst. »Deshalb.« Falls sie sich nun fragte, wann und wie er darauf gekommen war, würde sie sich die Antwort selbst geben. Und das tat sie prompt.
»Aha.« Sie kam auf ihn zu, griff nach ihrem Glas, das er noch immer in der Hand hielt, trank es leer und blieb vor ihm stehen, das Noir ihres Blickes seinen suchend.
Und er sah, wie sie dachte: Immer noch Agnes.
You’ve been running and hiding much too long. You know it’s just your foolish pride. Claptons Stimme war spröde, und der Rhythmus des Songs brachte etwas in Dühnfort zum Schwingen. Kaum merklich begann er sich dazu zu bewegen.
Gina nahm ihm das Glas ab und stellte es zusammen mit ihrem auf die Fläche neben dem Herd. Er spürte ihre Hände an seinen Hüften. Sie nahm seinen Rhythmus auf. Layla, you’ve got me on my knees. Layla, I’m begging, darling please. Layla, darling won’t you ease my worried mind.
So tanzten sie auf der Stelle. Apfelduft, dunkle Augen wie schwarze Schokolade, seine Arme, die sich von selbst um ihre Taille legten, ihre, die nun hinauf zu seinen Schultern wanderten, dort liegen blieben, ihm eine Wärme sandten, die ihn weich werden ließ. Er schloss die Augen, gab sich ganz der Musik hin, der Wirkung des Weins und der des Körpers in seinen Armen, fühlte Ginas Hände an seinem Gesicht und ließ es geschehen. Nein, er würde jetzt nicht
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