Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So unselig schön

So unselig schön

Titel: So unselig schön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
Vom Netzwerk:
leid.«
    »Immer noch Agnes, oder?«
    Sie hatte Agnes gerufen, als er im Koma gelegen und beinahe den Löffel abgegeben hatte. Es war ihr wichtiger gewesen, die Frau in seiner Nähe zu wissen, die er liebte und auf die sie eifersüchtig sein musste, als selbst bei ihm zu sein.
    Der Duft nach herben Äpfeln stieg aus ihrer Halsbeuge auf, die Wärme ihres Körpers drang durch den Stoff seines Hemdes und weckte ein Begehren, dem er nicht nachgeben durfte. Langsam löste er sich von ihr. Ein Ungleichgewicht der Gefühle und Erwartungen, das er nicht ausnutzen würde, auch wenn er im Moment kaum den Wunsch unterdrücken konnte, sie wieder an sich zu ziehen, zu küssen, mit ihr zu schlafen, in ihr zu versinken, in diesen Augen zu ertrinken, die wie schwarze Schokolade waren. Noir. Süß und bitter zugleich.
    ***
    Nagellack und Lippenstift hatte sie entfernt. Nun gefiel sie ihm. Er beugte sich zu ihr, wollte sie küssen, doch sie wich ihm aus. Nuttenehre. Er hatte sie bezahlt. Sie würde sich von ihm fesseln und wundficken lassen, alles würde sie für Geld mit ihrem Körper anstellen lassen. Jedenfalls beinahe alles. Aber ein harmloser Kuss war tabu.
    »Leg dich hin.« Er wies auf das mit weißer Wäsche bezogene Bett. Baumwolle. Hohlsäume. Stoffbezogene Wäscheknöpfe. Die Vorhänge aus nachtblauem, mit Goldfäden durchwirktem Stoff waren zugezogen; ein Strauß obszön üppiger Pfingstrosen welkte in der Kristallvase vor sich hin und schwängerte die Luft mit morbidem Duft. Erste Blätter fielen auf die Nussbaumkommode, auf der schon bald ihr Haupt ruhen würde.
    Sie setzte sich auf die Bettkante, zögerte kurz und legte sich dann auf den Rücken. Ihr Parfüm roch gewöhnlich. Ihr Körper war mager, der Busen klein und fest, die Hüftknochen standen hervor, in ihrer Scham kräuselten sich dunkle Haare. »Und du? Ziehst du dich nicht aus?« Ihre Stimme klang heiser, spröde, nach zu vielen Zigaretten. Sie war ein billiges Stück. Genau das, was er gesucht hatte.
    Während er sie mit trägem Blick musterte, tigerte die Unruhe in ihm auf und ab, wollte sich aus dem Käfig befreien; jede Faser seines Körpers bebte, und dennoch wirkte er äußerlich ruhig, wie ein schläfriges Raubtier hinter Gitterstäben, das sein Opfer in Sicherheit wog, bis es plötzlich, aus dem Nichts kommend, Beute schlug, vernichtete, tötete.
    »Gleich. Vorher verbinde ich dir die Augen, wie ausgemacht. Wenn es zu eng wird, sag es.«
    Die seidenen Schals lagen in der Schublade. Er nahm einen heraus und verband ihr die Augen, sie ließ den Kopf aufs Kissen sinken.
    »Ich bin gleich so weit.« Sie konnte nur ein Rascheln hören, musste annehmen, er zöge sich aus, während er den weißen Einwegoverall und Latexhandschuhe überstreifte. »Ich mache etwas Musik an. Magst du Klassik?«
    »Sicher.«
    Er legte die Górecki- CD ein. Quasi una Fantasia. Seine Fantasie. Als der erste Ton dem Cello entstieg, spröde und kalt, fragte er sie, ob er auch ihre Hände fesseln dürfe. Sie verlangte fünfzig Euro mehr; er versprach sie ihr, zog zwei Schals aus der Schublade und band ihre Handgelenke an die Bettpfosten.
    Der Latex war dünn, seine Hand warm. Sie bemerkte den Unterschied zwischen Haut und Kunststoff nicht. Langsam fuhr er mit der Fingerspitze über ihre Brust, ihren Bauch bis zur Scham, gab ihr mit sanftem Druck zu verstehen, dass sie die Beine spreizen sollte.
    Mittlerweile hatten sich um das einsame Cello weitere Streichinstrumente geschart, die den klagenden Laut unterstützten.
    Er kniete sich zwischen ihre Beine, seine Kleidung berührte dabei ihre Haut, und nun bemerkte sie, dass er nicht nackt war. Rasch beugte er sich über sie, zog den Knebel unter dem Kopfkissen hervor und stopfte ihn ihr in den Mund, als sie ihn überrascht öffnete.
    Ihr Körper bäumte sich auf, sie zerrte an den Fesseln, trat um sich. Ein dumpfes Grollen drang aus ihrer Kehle. Seine Hand fuhr in ihre Haare. Dunkler Haare Massen. Die Musik schwoll weiter an, jagte durch klirrenden Frost dem Abgrund entgegen, unaufhörlich, unerträglich. In einem vagen Bild, wie Nebeln entstiegen, sah er Brüste auf sich zukommen, riesige Titten, die ihn erstickten, hörte das Brüllen, mit dem das Raubtier aus dem Käfig brach, sah, wie es sich auf sie stürzte, ihr die Kehle zudrückte, bis alle Spannung in ihrem Körper erlosch, während die Musik in die Hölle stürzte, wie in einen verkehrten Himmel, sich ins Unerträgliche bohrte und dennoch über all dem Grauen dieser hoffnungsvolle

Weitere Kostenlose Bücher