So unselig schön
Ton schwebte, wie ein Versprechen auf Erlösung.
S AMSTAG , 12. J UNI
Die Nacht hindurch hatte es geregnet, und der Wetterbericht machte wenig Hoffnung auf Besserung. In den kommenden Tagen würde ein Tief Bayern im Griff halten. Es brachte weitere Niederschläge und dazu Temperaturen wie im März.
Ein Sauwetter, bei dem Dühnfort lieber zu Hause geblieben wäre. Eilig ging er durch die Sendlinger Straße, vorbei an noch geschlossenen Läden. Aus der Asamkirche klang Orgelmusik wie ein fernes Mahnen. Regentropfen spritzten in Pfützen. In der Auslage einer Confiserie dekorierte eine Mitarbeiterin französische Schokolade. Achtzig Prozent Kakaoanteil. Noir, wie Ginas Augen.
Gestern Abend hatten sie ihre Gläser geleert und versucht, die Befangenheit zu überwinden. Ginas Lachen hatte etwas zu laut geklungen und seine nach Unbeschwertheit tastenden Worte etwas zu bemüht. Eine befangene Distanz hatte sich zwischen sie geschoben, von der Dühnfort hoffte, sie würde nicht lange währen.
Kurz vor sieben betrat er sein Büro, hängte den nassen Mantel auf und sah die neuen Unterlagen in der Ablage durch. Kurz vor acht wählte er Lichtenbergs Nummer. Niemand meldete sich. Ginas gestrige Abfrage von Lichtenbergs, wahlweise Carnes, Handynummer war erfolglos gewesen. Er gehörte zu den wenigen Menschen, die kein Mobiltelefon besaßen.
Gut, entschloss Dühnfort sich, dann würde er ihn höchstpersönlich aus den Federn holen. Gemeinsam mit Gina, sie hatte ihn schließlich aufgestöbert.
Sie saß in ihrem Büro vor dem PC , einen Teller mit einer angebissenen Butterbreze neben sich, und sah auf, als er eintrat. Doch ihre Blicke trafen sich nicht. »Guten Morgen, Boss«, sagte sie kauend. »Packen wir’s?« Das Boss klang eine Nuance verändert. Kühler, höher.
Dühnfort nickte. »Ist Alois noch nicht da?«
»Er fährt zum Internat am Ammersee und horcht ein paar Leute aus. Du wolltest schließlich möglichst umfassende Infos über Fuhrmann und Wernegg.«
Der Mittlere Ring war frei, und auch auf der A 8 Richtung Süden floss der Verkehr, so dass Dühnfort bereits zwanzig Minuten später die Autobahn an der Ausfahrt Sauerlach verließ. Es regnete unaufhörlich. Einer der Scheibenwischer quietschte. Gina blickte gedankenverloren aus dem Fenster.
Weiter ging es auf der Landstraße durch eine sanfthüglige Landschaft, die sich unter schweren Wolken duckte und hinter grauen Schleiern verschwamm. Sie nahmen den Farben ihre Kraft und den Formen die Kontur, legten etwas Diffuses über die Gersten- und Weizenfelder, über Kartoffeläcker und Wiesen, über Hecken und Waldstriche. Eine Landschaft wie von Monet gemalt.
Nach viertelstündiger Fahrt erreichten sie Lichtenbergs Haus, einen ehemaligen Bauerhof, der auf einer Anhöhe zwischen zwei Ortschaften lag. Das Tor aus Schmiedeeisen stand offen. Dühnfort fuhr auf den gepflasterten Hof, parkte auf einem Stellplatz neben dem Hauseingang und stieg aus. Die Gebäude wirkten frisch renoviert. Weißer Rauputz, grüne Fensterläden, Blumenkästen voller tiefroter Geranien. Unter dem weit vorragenden Dach der Scheune, die sich im rechten Winkel an das Wohngebäude anschloss, befand sich eine Terrasse mit Teakholzmöbeln, Kübelpflanzen und einem Spalier, an dem sich vor der dunklen Holzverkleidung blutrote Rosen emporrankten. Linker Hand erstreckte sich ein Bauerngarten, dessen Blumen- und Gemüsebeete von Buchs eingefasst waren. Dazwischen verliefen Kieswege bis zu einer Streuobstwiese. Ein kleines Paradies, dessen Farben im Regen verliefen, wie ein Aquarell auf nassem Papier.
»Lichtenberg scheint mit seinen Bildern ja nicht schlecht zu verdienen.« Gina schlug die Autotür zu und trat neben Dühnfort. Er klingelte an der Haustür und wartete. Nichts rührte sich. Auch nach nochmaligem Klingeln blieb es still. Sie sahen durch die Fenster und warfen einen Blick in die Garage. Leer. So wie es aussah, war Lichtenberg nicht zu Hause. Dühnfort holte sein Handy hervor und hinterließ auf dem Anrufbeantworter des Malers die Aufforderung, sich umgehend zu melden.
»Schöner Mist.« Gina schob die Hände in die Hosentaschen und zog die Lippen kraus. Ihre Stimme klang wie eh und je. Dennoch nahm Dühnfort die Anstrengung wahr, die hinter dieser scheinbaren Unbekümmertheit steckte. Auch sie versuchte sich so zu verhalten, als hätte sie diesen Satz gestern Abend nicht gesagt. Gina neigte nicht zu schwärmerischen Übertreibungen. Sie meinte genau das, was sie gesagt hatte. Lieber wäre
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