Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So wahr uns Gott helfe

So wahr uns Gott helfe

Titel: So wahr uns Gott helfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
Vom Netzwerk:
Mich vorgestellt. Er lag im Bett. Er war damals schon todkrank.«
    »Worüber hast du mit ihm gesprochen?«
    »Nur, dass ich meinen Weg gemacht hätte. Mehr nicht. Sonst gab es ja eigentlich auch nichts zu sagen.«
    Wie jetzt in diesem Moment, dachte ich. Was gab es schon groß zu sagen? Meine Gedanken wanderten zu meiner eigenen versprengten Familie. Ich hatte kaum Kontakt zu meinen anderen Geschwistern, geschweige denn zu Bosch. Und dann war da noch meine Tochter, die ich nur acht Tage im Monat sah. Es schien, als wären die wichtigsten Dinge im Leben auch die flüchtigsten und zerbrechlichsten.
    »Du wusstest die ganze Zeit Bescheid«, bemerkte ich schließlich. »Warum hast du dich nie gemeldet? Ich habe noch einen Halbbruder und drei Halbschwestern. Es sind übrigens auch deine.«
    Zunächst erwiderte Bosch nichts, dann gab er eine Antwort, die er selbst vermutlich schon ein paar Jahrzehnte wie ein Mantra wiederholte.
    »Keine Ahnung. Wahrscheinlich wollte ich niemandem zu nahetreten. Normalerweise stehen Leute nicht auf Überraschungen. Jedenfalls nicht auf solche.«
    Ich fragte mich kurz, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn ich von Bosch gewusst hätte. Vielleicht wäre ich Polizist geworden statt Anwalt. Wer weiß?
    »Ich höre übrigens auf.«
    Ich war mir nicht sicher, warum ich das gesagt hatte.
    »Womit hörst du auf?«
    »Als Anwalt. Dieses Selbstjustizurteil war mein letztes.«
    »Ich habe auch mal aufgehört. Bin aber rückfällig geworden. Ich habe wieder angefangen.«
    »Das wird sich ja zeigen.«
    Bosch musterte mich kurz, dann richtete er den Blick wieder auf die Stadt. Es war ein schöner Tag mit tiefliegenden Wolken und einer Kaltluftfront, die die Smogschicht zu einem dünnen bernsteinfarbenen Streifen am Horizont verdichtete. Gerade war die Sonne im Osten über die Berge gestiegen und warf ihr Licht auf den Pazifik. Wir konnten bis nach Catalina sehen.
    »Als du damals angeschossen wurdest, bin ich ins Krankenhaus gekommen«, bemerkte er. »Ich weiß selbst nicht, warum. Ich hab es in den Nachrichten gesehen, und es hieß, es sei ein Bauchschuss, und ich wusste, so was kann so oder so ausgehen. Ich hab gedacht, wenn sie vielleicht Blut oder was brauchen, könnte ich … Ich bin davon ausgegangen, wir hätten die gleiche Blutgruppe, weißt du? Aber dann waren da diese ganzen Reporter und die vielen Kameras. Da bin ich einfach wieder gegangen.«
    Ich lächelte, und dann musste ich lachen. Ich konnte einfach nicht anders.
    »Was ist so komisch?«
    »Ein Polizist, der für einen Strafverteidiger freiwillig Blut spendet. Wenn sie das spitzgekriegt hätten, hätten sie dich wahrscheinlich nicht mehr in den Club gelassen.«
    Jetzt war es Bosch, der lächelte und nickte.
    »Daran habe ich wahrscheinlich gar nicht gedacht.«
    Und einfach so verflog unser Lächeln wieder, und die alte Peinlichkeit, einander letztlich völlig fremd zu sein, stellte sich wieder ein. Schließlich blickte Bosch auf die Uhr.
    »Die Teams mit den Haftbefehlen treffen sich in zwanzig Minuten. Ich muss los.«
    »Okay.«
    »Man sieht sich, Herr Anwalt.«
    »Man sieht sich, Detective.«
    Er stieg die Treppe hinunter, und ich blieb einfach stehen. Ich hörte sein Auto anspringen und dann den Hügel hinunterfahren.
FÜNFUNDFÜNFZIG
    D anach hielt ich mich noch eine Weile auf der Terrasse auf und blickte auf die Stadt hinaus, während die ersten Sonnenstrahlen sie streiften. Gedanken zogen durch meinen Kopf, ähnlich den Wolken hoch oben, von einer fernen Schönheit und unberührbar. Weit weg. Ich blieb mit dem Gefühl zurück, dass ich Bosch nie wiedersehen würde. Dass er seine Seite des Bergs hatte und ich meine, und dass sich nie etwas daran ändern würde.
    Nach einer Weile hörte ich die Tür aufgehen und Schritte auf der Terrasse. Ich spürte die Anwesenheit meiner Tochter neben mir, und ich legte meine Hand auf ihre Schulter.
    »Was machst du, Dad?«
    »Einfach schauen.«
    »Ist irgendwas?«
    »Nein, alles klar.«
    »Was hat der Polizist gewollt?«
    »Nur reden. Er ist ein Freund von mir.«
    Wir schwiegen eine Weile, bevor sie den nächsten Punkt anschnitt.
    »Schade, dass Mom gestern Abend nicht hiergeblieben ist«, sagte sie.
    Ich blickte sie an und strich ihr über den Nacken.
    »Alles schön der Reihe nach, Hay«, sagte ich. »Immerhin hatten wir sie gestern schon so weit, mit uns Pfannkuchen zu essen.«
    Darüber dachte sie kurz nach, dann nickte sie. Sie stimmte mir zu. Pfannkuchen waren schon mal ein Anfang.
    »Ich

Weitere Kostenlose Bücher