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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Szene vielleicht entgangen wären: die verstörten, hohlen Blicke des Paares, der fadenscheinige Mantel des Mannes, die derben Schuhe der Frau, das armselige Pappköfferchen.
    Plötzlich schaute die junge Frau von ihrem Zeichenblock auf.
    »Möchten Sie vielleicht auch die anderen Skizzen sehen?«, fragte sie in einem Ton, der irgendwo zwischen Flirten und Anschnauzen lag.
    »Wollen Sie sie mir denn unbedingt zeigen?«, antwortete Jakob in perfektem Portugiesisch.
    Die junge Frau wirkte ein wenig irritiert. »Sie sind Portugiese? Ich hätte vermutet, dass Sie …«
    »Ja?«
    »Nun ja, dass Sie ein Emigrant sind. Vielleicht ein Jude.«
    »Finden Sie, dass ich so aussehe?«
    »Jetzt nicht. Aber vorhin …« Sie blätterte zwei Seiten in ihrem Block zurück und hielt Jakob wortlos die Skizze hin.
    Ein hohlwangiger junger Mann in einem schlecht sitzenden Anzug war darauf zu sehen, mit Bartstoppeln und einer sehr prominenten Nase, mit vollen, aber verkniffenen Lippen und argwöhnischem Blick. Der
juif errant
, wie er im Buche stand.
    »Finden Sie nicht, dass Sie mich unnötig älter gemacht haben?« Jakob lächelte die Künstlerin an und hoffte, dass sie ihm sein Erschrecken nicht ansah. Wenn er auch nur annähernd dem Mann auf dem Bild ähnelte, dann musste er noch viel an seiner Mimikry arbeiten.
    »Wenn Sie lächeln, sehen Sie auch viel jünger aus.«
    »Darf ich Sie zu einem Kaffee einladen?« Jakob fand die junge Frau entzückend, und wenn er in den letzten Jahren eines gelernt hatte, dann dass man niemals etwas aufschieben sollte.
    »Ich pflege eigentlich nicht mit fremden Männern auszugehen, deren Namen ich nicht einmal kenne.«
    »António Coelho Lisboa«, sagte er und machte eine angedeutete Verbeugung. »Und mit wem habe ich die Ehre?«
    »Laura da Costa.« Nach einer kleinen Pause fügte sie hinzu: »Ich schätze, eine schöne starke
bica
wäre jetzt genau das Richtige.«
    In der »Pastelaria Suiça« nahmen sie an einem Tisch Platz, der direkt am Gang stand. Ecken und Nischen waren viel verdächtiger, wusste Jakob. Sollten hier tatsächlich deutsche Spione oder deren portugiesische Helfershelfer von Salazars Geheimpolizei nach illegal eingereisten Flüchtlingen Ausschau halten, würden sie die Leute an den zentralen Tischen nicht halb so sorgfältig mustern wie die in den Randbereichen des Kaffeehauses.
    »Sie sind Künstlerin von Beruf?«, fragte er seine Begleiterin.
    »Ja. Aber bisher ohne großen Erfolg.«
    »Der kommt bestimmt bald. Ich finde Ihre Zeichnungen wunderbar.«
    »Das ist das erste Mal, dass Sie einen affirmativen Satz von sich geben. Bisher haben Sie alle meine Fragen immer mit einer Gegenfrage beantwortet.«
    »Nicht ganz. Meinen Namen habe ich Ihnen schließlich verraten, oder?«
    »Sehen Sie, wieder eine Frage.«
    »Sie sind eine gute Beobachterin.«
    »Und Sie ein guter Lügner.«
    »Warum glauben Sie das?«
    »Weil Gegenfragen die eleganteste Methode sind, um sich nicht zu verraten.«
    »Aber ich bitte Sie, Menina Laura, ich …«
    »Laura. Lassen Sie bitte das ›Fräulein‹ weg. Nennen Sie mich einfach Laura.«
    »Also schön, Laura. Stellen Sie mir all die Fragen, die Ihnen auf den Nägeln brennen. Je mehr, desto besser – ich fühle mich schon jetzt sehr geschmeichelt, dass Sie mir so viel Interesse entgegenbringen.«
    Jakob fand, dass Laura eindeutig zu wenig Feingefühl zeigte. Sie lebten in einer Zeit, in der eine so unverblümte Fragerei an Körperverletzung grenzte. Dennoch würde er keine Schwierigkeiten haben, Fragen über seine erfundene Vergangenheit zu beantworten. Er hatte sich jede Kleinigkeit zurechtgelegt, fiktive Verwandtschaftsverhältnisse auswendig gelernt und sich schmückende Anekdoten ausgedacht. Er hatte sich sogar Grundschulen und Spielplätze der Lisboetas angesehen, um glaubwürdig seine Kindheit und Jugend resümieren zu können.
    »Machen Sie das öfter«, fragte Laura, »dass Sie Unbekannte auf einen Kaffee einladen?«
    »Und Sie, gehen Sie immer mit Unbekannten mit, die Sie auf einen Kaffee einladen?«
    Laura und Jakob schauten sich tief in die Augen und wussten, dass sie einander noch sehr viele Fragen stellen würden.
     
    Am nächsten Tag wachte Laura mit einer frohen Unruhe im Herzen auf. Sie hatte sich wieder mit dem jungen Mann verabredet, der sich António Lisboa nannte. Er hatte irgendetwas in ihr angerührt, das sie weder genau zu orten noch zu deuten verstand. Er sah nicht einmal besonders gut aus, etwas, was ihr sonst bei Männern wichtig

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