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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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von Osten ihr Modell ausleuchtete, das sie vor dem Hintergrund der Innenstadt im Westen malen wollte. António kam sich reichlich albern vor, wie er da in der Morgensonne saß. Er wusste nicht, was er mit seinem Gesicht anstellen sollte, und je länger er Laura bei ihrer Arbeit beobachtete, desto unsicherer wurde er. Seine Züge, so schien ihm, wollten ihm nicht mehr gehorchen. Außerdem blendete ihn die Sonne. Er kniff die Augen zusammen und machte, um die merkwürdige Stimmung aufzuheitern, ein paar witzig gemeinte Bemerkungen. Doch Laura bedeutete ihm, zu schweigen und stillzuhalten. Damit ihm sein Allerwertester auf dem harten Steinmäuerchen nicht taub wurde, setzte er sich gelegentlich ein bisschen um, was sie ihm gestattete. Nach etwa drei Stunden, als die Sonne ihn schon von der Seite anstrahlte, war Laura fertig.
    »Das wurde auch Zeit. Ich hatte schon Angst, meine rechte Gesichtshälfte würde ganz braun werden, während die linke käseweiß ist.«
    »Kein Problem – das nächste Mal gehen wir zu einem Ort, wo auch deine linke Gesichtshälfte braun wird.«
    Jakob stöhnte innerlich auf. Worauf hatte er sich da eingelassen? Er hatte schon jetzt keine Lust mehr zu diesen Sitzungen. Er ließ sie nur über sich ergehen, weil sie der ideale Vorwand waren, um Laura so oft zu sehen. Nicht, dass er einen Vorwand gebraucht hätte. Sie duzten sich inzwischen, und Laura machte kein Geheimnis daraus, dass sie genauso gern mit ihm zusammen war wie er mit ihr. Außerdem kam Laura ab und zu hinter ihrer Staffelei hervor, trat an Jakob heran und zupfte sein Haar zurecht oder nestelte an seinem Hemdkragen herum. Dass sie mit ihren farbverschmierten Fingern Flecken dabei hinterließ, war ihm egal. Diese kleinen Momente des körperlichen Kontakts waren jeden Farbkleckser der Welt wert.
    Erst nach mehreren Wochen beklagte Jakob sich. »Laura, du musst ja schon an die zehn Porträts von mir gemalt haben. Willst du nicht langsam mal etwas anderes auf deine Leinwände zaubern? Ich meine, so faszinierend kann mein Gesicht dann ja auch nicht sein.«
    »Doch, ist es.«
    Sie saßen nebeneinander in einem Straßencafé in der Baixa und beobachteten die Leute, die vorbeiflanierten. Die meisten sahen unbeschwert und fröhlich aus, in ihren Sommerkleidern oder in hellen Hosen und kurzärmligen Hemden. Der Himmel war von einem kräftigen Blau, das nach dauerhaft schönem Wetter aussah, und die Luft roch nach Sommer in der Stadt – eine unwiderstehliche Mischung aus den Düften blühender Laubbäume und heißen Asphalts, aus Abgasen und Kaffee-Aroma.
    Laura sah António schräg von der Seite an, legte dann ihre Hand auf seine und seufzte. »Also gut. Du hast ja recht. Es ist nur so, dass ich mich an deine Hände noch nicht heranwage. Ich bin schlecht im Händemalen.«
    »Nach allem, was ich über Künstler weiß, sind Hände immer schwer abzubilden. Versuch es einfach.«
    Wie sollte sie ihm erklären, dass es das allein nicht war? Dass es an seinen Händen lag? Dass sie diese anbetungswürdigen Hände nicht
entweihen
wollte, indem sie ihren Charakter zur Zweidimensionalität und zur Bewegungslosigkeit verdammte?
    Es waren wunderbare Hände, mit schlanken, langen Fingern, auf deren unteren Gliedern kleine Büschel schwarzer Haare wuchsen und an deren anderem Ende große, eckige, perfekt gepflegte Nägel in einem zarten Perlmuttglanz schimmerten. Diese Hände sahen verletzlich und stark zugleich aus. Es waren nicht die Hände eines verzärtelten Violinisten, sondern die eines Mannes, der zupacken konnte. Und Laura wünschte sich immer mehr, dass er genau das bei ihr tun würde.
    »António?«
    »Ja?«
    Sie räusperte sich. »Ich kann es nur schwer in Worte kleiden, aber irgendetwas steht zwischen uns, wie eine hohe Steinmauer.«
    Er runzelte die Stirn und nahm einen Schluck Kaffee. Als er die Tasse geräuschvoll auf der Untertasse absetzte, merkte Laura, dass seine Hand zitterte.
    »Laura?«
    »Ja?«
    »Nenn mich doch bitte Jakob.«

26
    H ätte man Luiza Mendes gefragt, sie wäre um Worte nicht verlegen gewesen. Um böse Worte. »Das Bild ist abartig«, hätte sie vielleicht gesagt, oder, wenn sie sich diplomatischer hätte ausdrücken wollen, »die Künstlerin ist vollkommen untalentiert«. Und so war es doch auch. Die Farben taten dem Auge weh, die eckigen Formen verzerrten das Antlitz ihrer Dienstherrin auf diffamierende Weise. Jedes Kind konnte schönere Bilder malen. Ja, sie selber hätte das Modell besser getroffen! Herrje, wenn

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