So weit der Wind uns trägt
wäre.
Sie blieb noch eine Weile an ihn geschmiegt. Als sie sich endlich voneinander lösten, setzte Marisa sich neben Ricardo. Sie tastete nach ihren Kleidern, raffte irgendetwas auf und schob es sich unter den Hintern.
»Besonders komfortabel ist dein Pick-up nicht gerade.«
»Aber besonders geräumig.«
Sie kicherten.
»Und besonders dunkel.«
»Und besonders nass.« Einige der Kleidungsstücke, die sie als Polster benutzten, waren von dem hereindringenden Regenwasser durchtränkt worden.
»Vorn im Wagen habe ich eine Taschenlampe. Ich hole sie mal. Noch nasser kann ich ja kaum werden.« Ricardo fummelte ungeduldig an der Plane herum, sprang dann splitternackt von der Ladefläche herunter und kam kurz darauf mit der Taschenlampe zurück.
Das Bild, das sich ihnen bot, war nicht sehr romantisch, und beide waren froh, dass sie kurz zuvor noch kein Licht gehabt hatten. Regenbäche liefen über den Boden, ihre Kleider lagen herum wie Lumpen, sie selber waren zerzaust und sich ihrer Nacktheit plötzlich überdeutlich bewusst. Ricardo stellte die Taschenlampe in eine Ecke, und der Strahl, der an die Deckenplane geworfen wurde, kam ihnen kaum eine Minute später gar nicht mehr so grell und schonungslos vor.
Ricardo goss Wein in die beiden Gläser und reichte Marisa eines davon. Dann zündete er zwei Zigaretten an und reichte ihr wiederum eine davon. Stumm rauchten und tranken sie und sahen einander an, als könnten sie kaum glauben, welches Erlebnis sie gerade miteinander geteilt hatten.
»Was ist das eigentlich für eine wichtige Familienfeier, dass du dafür extra aus Paris zurückkommst?«, fragte Ricardo, dem die Stille zuerst unbehaglich war.
»Meine Hochzeit.«
Ricardo richtete sich abrupt auf. Er starrte sie ungläubig an. Was sollte das sein, ein Witz? Er fand ihn nicht zum Lachen. Marisa sah ihn ernst an, und allmählich dämmerte es Ricardo, dass sie durchaus nicht scherzte. Sie würde heiraten, wen auch immer. Er war für sie nichts weiter als ein netter Zeitvertreib. Ein echter Alentejano, so einer würde sich gut in ihrer Kollektion machen. Etwas Rustikales, Derbes. Damit man das Feine nachher besser zu schätzen wusste. Ein kleines Abenteuer, schnell noch eben, bevor man im Würgegriff von Ehe und Wohlanständigkeit langsam erstickte.
»Hier.« Er warf ihr das total ramponierte Kleid zu. »Ich setze dich in der Stadt ab.«
Marisa hätte ihm tausend Erklärungen geben können. Und jede einzelne davon hätte dumm, hohl und falsch geklungen. Sollte sie ihm etwa sagen, dass sie tatsächlich mit dem Gedanken gespielt hatte, die Hochzeit abzublasen, und das sogar noch vor ihrer heutigen Begegnung? Das würde er ihr niemals abnehmen, ganz gleich, wie wahr es sein mochte. Sollte sie ihm auseinandersetzen, welche Wirkung sein kurzer Anruf auf sie gehabt hatte? Sie konnte es ja selber kaum glauben, wie würde er es dann tun können?
Sie hatte die Wahl, sich entweder eine Blöße als unrealistische Traumtänzerin zu geben, die aus einer verliebten Laune heraus ihr ganzes bisheriges Leben und ihre Zukunftsplanung über Bord warf – oder ihn glauben zu lassen, was er wollte. Sie wusste, dass es nicht zu ihrem Vorteil war. Es war ihr zwar alles andere als gleichgültig, aber so viel Stolz musste sein. Bevor sie ihn mit abenteuerlich klingenden Rechtfertigungen noch mehr in Rage brachte, schwieg sie lieber. Und überhaupt: Welcher Sünde hatte sie sich schon schuldig gemacht? Der, die Wahrheit gesagt zu haben? Der, sich zu spät in Ricardo verliebt zu haben? Oder der, eine Hochzeit geplant zu haben, bevor sie in seinen Armen zum ersten Mal echte Leidenschaft und Hingabe erfahren hatte? Er war gekränkt? Sie war es doch, die zu bedauern war!
Als das Gewitter über Lissabon hereinbrach, fiel Jujú, die man im Krankenhaus vorübergehend reanimiert hatte, ins Koma.
Als das Unwetter sich ausgetobt hatte, stand fest, dass sie nie wieder erwachen würde.
Obwohl Fernando sie nach ihrem Zusammenbruch auf der Parkbank rasch auf beiden Armen in ein Taxi gehoben hatte und sofort mit ihr in das nächstgelegene Krankenhaus gefahren war, konnten die Ärzte Jujú nicht mehr retten. Schwere allergische Reaktion auf Insektengift, lautete die Diagnose. Wie gelähmt saß Fernando neben dem Krankenbett und betrachtete die Frau, die er sein Leben lang geliebt hatte. Sie sah aus, als hielte sie nur ein Nickerchen. Ihre weiße Haut hob sich kaum von den Laken ab. Ihr Haar war noch immer makellos frisiert, sogar ihr
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