So weit der Wind uns trägt
Landschaft fielen.
Marisa lief zur Beifahrertür, doch Ricardo ging hinter den Wagen und sprang geschmeidig auf die Ladefläche. »Wenn wir die Plane schnell aufziehen, können wir es uns hier hinten gemütlich machen«, rief er ihr zu. Sie nickte und kam zu ihm. Er nahm ihr den Korb ab, reichte ihr eine Hand und half ihr hinauf. Sie hatten Glück. Es kamen weiterhin nur vereinzelte dicke Tropfen vom Himmel – richtiger Regen setzte erst ein, als die Plane an Ort und Stelle war.
Das Prasseln auf dem beschichteten Stoff war sehr anheimelnd. Und der Ausblick aus dem Heck, wo sie die Plane ein Stück weit nach oben gerollt hatten, war großartig. Es war ein Wolkenbruch biblischen Ausmaßes. Wahre Sturzfluten ergossen sich aus dem Himmel, tauchten die Landschaft in Dunkelheit, wuschen den Staub von den Bäumen und kanalisierten sich auf dem Lehmweg in Rinnsalen, die immer stärker anschwollen. Jedes Mal, wenn ein Blitz den Himmel zerschnitt, sah man in dem gespenstisch grellen Licht das Spektakel, das minütlich an Intensität zu gewinnen schien.
»Wow!«, staunte Marisa. Sie saß Ricardo gegenüber, mit dem Rücken an die Seitenwand des Pick-ups gelehnt. Sie hielt einen Arm über die Ladeklappe nach draußen, als könne sie erst durch den direkten Kontakt mit dem lang ersehnten Regen glauben, dass es wirklich passierte. Der Wind war böig, ab und zu drückte er Regentropfen oder Sprühnebel in ihren gemütlichen Schutzraum.
»Du wirst ganz nass. Lass uns ein bisschen weiter nach innen rutschen.«
Sitzend robbten beide ein Stück fort von der Öffnung. Ricardo konnte einen Blick unter Marisas Kleid erhaschen – dasselbe Kleid, dessen Reißverschluss, wie er eben gesehen hatte, am Rücken nicht wieder ganz geschlossen war. Er dachte an die blöden Zufälle, die ihnen immer genau dann in die Quere kamen, wenn es spannend wurde. Jetzt also das Gewitter. Andererseits konnte ein solches Unwetter ja gewisse stimulierende Qualitäten haben.
»Was hast du denn Schönes in dem Picknickkorb?«, fragte er.
»Hm, also da sind belegte Brote, Kuchen, Aprikosen. Und eine Flasche Wein. Die ist aber inzwischen bestimmt warm.«
»Macht mir nichts aus. Dir?«
»Nein.« Marisa zog die Flasche aus dem Korb und legte sie Ricardo in die ausgestreckte Hand. Sie kramte weiter in dem Korb, fand aber nicht, wonach sie suchte. »Ich glaube, ich habe den Korkenzieher vergessen.«
Ricardo zog ein Taschenmesser aus der Hosentasche, an dem sich auch ein Korkenzieher befand, und hielt es stolz hoch. »Wir ergänzen uns großartig, findest du nicht?«
»Ja«, antwortete sie, und es klang nicht danach, als bezöge sich das auf das Öffnen von Weinflaschen.
Während er die Flasche entkorkte, holte sie zwei schlichte Wassergläser aus dem Picknickkorb. Sie hielt sie ihm hin, und er goss sie randvoll.
»Also dann: Auf uns.«
»Ja, auf uns.«
Es fehlten nur noch Kerzen, dachte Ricardo. Es war sehr dunkel. Ohne das Gewitter hätte der Tag sich jetzt mit einem samtigen, dunkelblauen Himmel verabschiedet. So aber sah man kaum noch etwas. Das Trommeln des Regens auf der Plane ließ nicht nach. Der Wind hatte zugenommen. Er peitschte dicke Tropfen in ihren Ausguck, so dass der hintere Teil der Ladefläche schon ganz nass war. Einzelne Rinnsale bahnten sich ihren Weg ins Innere.
»Ich denke, ich lasse auch hinten die Plane jetzt lieber runter. Sonst sitzen wir beide gleich in einer Pfütze.« Ricardo krabbelte zu der Klappe, nestelte an den Riemen herum, die die Plane oben hielten, und ließ sie schließlich ächzend herab. Er selber wurde pitschenass dabei.
»Äh!« Er zog sein T-Shirt aus und warf es achtlos wie einen Putzlumpen in eine Ecke.
»Hast du Zigaretten dabei?«, fragte Marisa.
»Ja. Warte.« Er kramte die Schachtel aus seiner Gesäßtasche. »Hm, ich glaube, sie sind nass geworden. Hier.« Er hielt ihr die geöffnete Packung hin. Sie zog sich eine Zigarette heraus. Er gab ihr Feuer und zündete sich im Anschluss selber eine an. Im flackernden Licht der Flamme sah er, wie sie seinen nackten Oberkörper musterte, bevor ihr Blick nach oben wanderte und seinen traf. Er hatte den Eindruck, als wollte sie gar nicht rauchen, sondern wäre von vornherein nur auf die Lichtquelle aus gewesen. Das Streichholz erlosch. Es war jetzt so düster, dass man nur noch die beiden glühenden Spitzen der Zigaretten sah. Marisa drückte die seitliche Plane etwas ab, um außerhalb des Wagens die Asche abzuschnippen. Sie drehte sich dabei so, dass sie
Weitere Kostenlose Bücher