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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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wäre nach drei Jahren erstmals wieder auf portugiesischem Boden.
    Ricardo wurde von einer Woge verschiedenartiger Empfindungen überspült, als er durch das Ankunftsterminal ging, sein Gepäck abholte und den Zoll passierte. Die Menschen sahen anders aus, kleiner und dunkler. Überall hingen Schilder, die in seiner Muttersprache auf die diversen Einrichtungen am Flughafen hinwiesen. In der Wartehalle duftete es nach frischem Espresso – oh, wie hatte er richtigen Kaffee vermisst! Er blieb an der kleinen Bar stehen und bestellte sich eine
bica
. Es kam ihm fremd vor, wieder Portugiesisch zu sprechen und verstanden zu werden. Er kramte einen Dollar aus seiner Hosentasche und legte ihn auf den Tresen. Der Mann an der Bar sagte, er könne nur Escudos herausgeben, worauf Ricardo erwiderte, dass es so stimmte. Der Mann bedankte sich überschwänglich.
    Der Espresso war sehr stark. Oder kam es ihm nur so vor, nach der langen Zeit in den USA ? Dort war der Kaffee so dünn, dass er mehr aussah wie Tee. Sie hatten sowieso ganz merkwürdige Ernährungsgewohnheiten, die Amerikaner. Er hatte sich an das Essen nie richtig gewöhnen können. An alles andere dafür umso schneller. Er liebte ihren Fortschrittsglauben und ihre Technologiebegeisterung, er bewunderte ihren Tatendrang und ihren Willen, Unmögliches wahr zu machen. Er mochte ihre Wolkenkratzer und ihre großen Autos, die Drive-Thrus und die Shopping-Malls und unzählige andere Dinge, die es in Europa nicht gab. Nicht gegeben hatte, korrigierte Ricardo sich im Geiste. In drei Jahren konnte sich viel geändert haben.
    Als er das Flughafengebäude verließ, fielen ihm als Erstes die vertrockneten Rasenflächen auf, die welk herabhängenden Blätter der Blumen und Bäume. Obwohl auch in Kalifornien das Klima trocken war, in einigen Regionen deutlich trockener noch als hier und sogar als im Alentejo, sah man dort allenthalben grellgrünen Rasen und Pflanzen, die so saftig und prall aussahen, als wären sie aus Plastik. Der verschwenderische Umgang mit Wasser war auch etwas, was ihn fasziniert hatte. Er hieß ihn nicht gut, aber er liebte die Sorglosigkeit, von der er zeugte.
    Er stieg in ein Taxi, das seltsam altmodisch anmutete. »In die Rua Ivens,
faz favor

    Der Fahrer, der ihn offensichtlich für einen Amerikaner hielt, was vielleicht an Ricardos Kleidung lag, versuchte mit seinen paar Brocken Englisch ein Gespräch in Gang zu bringen. Ricardo grinste, erklärte dem Mann, dass er durchaus die Grundzüge der portugiesischen Sprache beherrsche, und beantwortete lustlos, aber nicht unfreundlich einige der Fragen, mit denen der Fahrer ihn bestürmte. Als sie die Innenstadt erreichten, wurde Ricardo immer wortkarger. Er sah aus dem Fenster und wunderte sich über die allgegenwärtigen Anzeichen von Armut und Verwahrlosung. War auch das immer schon so gewesen, oder hatte er es damals nur nicht wahrgenommen?
    Rostige Autos, die locker dreißig Jahre auf dem Buckel hatten; Fassaden, deren Azulejos gerissen waren und an denen außen ein Wirrwarr von Stromkabeln herablief; bucklige Frauen mit schwarzen Kopftüchern; verhutzelte alte Männer, die in Pulks unter den Bäumen im Schatten saßen und allesamt rauchten; verstaubte Schaufenster; vor den
mercearias
ein paar armselige Kisten mit Knoblauch und welken Salatköpfen; Löcher im Asphalt und riesige Krater in den gepflasterten Gehwegen, aus denen vertrocknetes Unkraut ragte; junge Burschen auf ratternden Vespas, die beim Überholen lachten und Zahnlücken zeigten, sowie Mädchen in züchtigen, unmodernen Kleidern, unter denen behaarte Beine herausschauten – all das nahm Ricardo im Vorbeifahren wahr, als sähe er es zum ersten Mal.
    Es erschien ihm so unwirklich. Wie ein Film. Und der Eindruck verstärkte sich noch, als das Taxi über die Straßenbahnschienen zum Chiado hinaufholperte. Hollywood hätte sich die Finger geleckt nach einer derartigen Kulisse. Der morbide Charme des rückständigen Südens Europas. Die bröckelnde Fassade einer alternden Schönheit. Die stumpf gewordene Oberfläche einer kostbaren Perle, aus der nur noch hier und da und nur bei extrem günstiger Lichteinstrahlung der alte Glanz aufschimmerte.
    Hier, im mondänsten Viertel Lissabons, beherrschten zwar weder arme Leute noch dürftige Auslagen vor den Läden das Straßenbild, doch die Zeit schien hier genauso stehen geblieben zu sein wie in den Gegenden, durch die er gerade chauffiert worden war. Ricardo sah Vitrinen, die anscheinend seit den

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