So weit der Wind uns trägt
so.«
»Und so …« Marisa sah ihn mit unverhohlener Neugier an. Das war nicht mehr derselbe mit Minderwertigkeitskomplexen beladene Ricardo, mit dem sie vor Jahren eine kleine Urlaubsgeschichte hatte. Vor ihr saß ein Mann, der selbstsicher war, der etwas aus sich gemacht hatte und offensichtlich stolz darauf war. Pilot, wer hätte das gedacht? Dafür, dass er vor zehn Jahren noch fremder Leute Bügeleisen repariert hatte und nicht einmal angemessen dafür bezahlt worden war, war das kein schlechter Werdegang. Dieses neue Selbstbewusstsein stand ihm ausgezeichnet zu Gesicht. Er kam ihr jetzt noch attraktiver vor als früher.
»Na ja, in den Staaten bin ich Privatjets geflogen. Hier in Portugal ist die Nachfrage danach nicht so groß – weniger Millionäre, du weißt schon.«
»Aha. Und was tust du dann hier?«
»Ich bin ausgebildeter Fluglehrer. Ich gründe eine Flugschule.«
Marisa starrte ihn verunsichert an. War das ein Witz? Sollte sie jetzt lachen? Oder eher heulen? Wer kam denn auf solche haarsträubenden Ideen?
Er schien zu bemerken, was in ihr vorging, denn er beugte sich vor und sagte in eindringlichem Ton: »Die Bedingungen sind absolut ideal. Eine Landschaft ohne größere topographische Besonderheiten, die das Fliegen erschweren könnten, hohe Berge oder Ähnliches; nahezu ganzjährig gutes Wetter ohne extreme klimatische Erscheinungen wie Hurrikans, Blizzards und so weiter; eine dünn besiedelte Region, in der mit nennenswerten Beschwerden nicht zu rechnen ist; und schließlich ein Land, in dem es durchaus wohlhabende Flugbegeisterte gibt, aber viel zu wenig Möglichkeiten, das Fliegen zu erlernen. Ich habe in den USA jede Menge reiche Portugiesen kennengelernt, die dort ihren Flugschein gemacht haben. Nun, ab sofort können sie ihn bei mir machen.«
»Ist ja irre!«, war alles, was Marisa hervorbrachte.
»Ja, ein bisschen schon«, erwiderte Ricardo, als habe es sich um eine neutrale Analyse gehandelt.
»Und wo ist diese Flugschule? Im Alentejo?«
»Genau. Belo Horizonte und das umliegende Land gehören meiner Mutter, und die verpachtet es mir.«
»Deine Mutter bereichert sich an dir?!«
»Natürlich nicht. Sie wollte es mir so überlassen, aber das wäre doch dumm. Ich kann die Pacht von der Steuer absetzen, und …«
»… letztlich bleibt es ja eh in der Familie«, ergänzte Marisa.
»Ganz recht.« Ricardo war es egal, was seine Mutter mit dem Geld anstellte. Bis sie starb und er als ihr einziges Kind ihr Erbe antreten würde, vergingen hoffentlich noch viele Jahre – in denen er selber reich zu werden gedachte. Aus eigener Kraft und eigenem Können. Aber so genau wollte er es Marisa jetzt nicht auseinandersetzen.
»Und – hast du denn Flugzeuge? Die kosten doch sicher ein Vermögen?«
»Ich habe eine einmotorige Cessna gekauft, gebraucht, versteht sich. Diese Maschinen kosten nicht so viel, wie die meisten Leute denken. Neu an die 80 000 Dollar. Meine habe ich für ein Drittel bekommen, aber ich musste auch noch ganz schön viel Arbeit investieren.«
»Irre!«, bemerkte Marisa erneut, und allmählich ärgerte Ricardo sich über so viel Staunen und mangelndes Einfühlungsvermögen.
»Und du?«, fragte er. Sie hatten lange genug über seine »irren« Pläne geredet.
»Tja, ich. Ich bin Dolmetscherin.«
Aus ihrer Stimme hörte er Frust heraus, weshalb Ricardo nicht weiter auf ihren Beruf einging. »Und Ehefrau, nehme ich an?«, fragte er stattdessen.
»Nein. Und du, hast du geheiratet, hast du Kinder?«
»Nein.« Ricardo fühlte sich unter ihrem Blick ein wenig unbehaglich. Er griff nach seiner Tasse. Der Kaffee war schon wieder kalt geworden. Er sah Marisa ernst an. »Das ist auch irre, oder?«
»Irgendwie schon.«
»Ich meine, dass wir uns getroffen haben. Dass wir jetzt hier sitzen.«
»Das meinte ich auch«, sagte sie und senkte den Blick. Sie griff nach ihrem Cognacschwenker und trank die letzten Tropfen daraus, indem sie das Glas beinahe senkrecht über ihren nach hinten geneigten Kopf stürzte.
»Möchtest du noch einen?«
»Ja bitte. Und eine Zigarette, wenn du eine hast.«
»Nein. Ich habe aufgehört zu rauchen. Aber die Kellnerin bringt uns sicher ein Päckchen. Welche Marke?«
»Schon gut. Muss nicht sein. So, und nun, Ricardo da Costa, will ich die ganze Geschichte hören. Von Anfang bis Ende. Wie bist du nach Amerika gekommen? Was hast du dort gemacht? Wie hast du diese Pilotenausbildung bezahlt? Und vor allem: Warum bist du nach Portugal
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