So weit der Wind uns trägt
mit dem Sterben sollte er vielleicht weglassen, auf so etwas standen alte Leute nicht sonderlich. Auch musste er nicht ausdrücklich darauf hinweisen, dass es sich bei seiner Flugschule um eine zivile Einrichtung handeln würde, in der praktisch jeder das Fliegen erlernen konnte, sofern er die nötigen körperlichen Voraussetzungen mitbrachte, die nicht schwer zu erfüllen waren. Vielleicht hätte er sogar weibliche Flugschüler. Nein, das konnte er diesem Abrantes alles nicht sagen – der gehörte bestimmt zu der alten Garde von Piloten, die eine Frau im Cockpit für eine Sünde gegen die gottgewollte Ordnung hielten.
Ricardo hatte so lange über verschiedene Formulierungen nachgegrübelt, dass sein Kaffee kalt geworden war. Er hob den Kopf von seinem vollgekritzelten Stück Papier, um die Bedienung zu rufen. Auf dem schmalen Stück Bürgersteig, das noch nicht mit Tischen zugestellt war, drängten sich die Leute. Eine Frau schob sich so nah an Ricardos Stuhl vorbei, dass ihre Handtasche ihm gegen die Schulter schlug. Er drehte sich erbost nach ihr um. Sie war schon vorbeigelaufen, doch auch von hinten kam ihm etwas an ihr bekannt vor. War sie es wirklich? Sein Puls beschleunigte sich. »Marisa!«, rief er so laut, dass die anderen Gäste des Cafés zu ihm hinschauten. Die Frau blieb stehen und sah sich suchend um. Sie war es. Ricardo winkte. »Marisa! Hier!« Sie sah ihn an, als müsse sie erst nachdenken, wer er war. Wie in Zeitlupe verzog sie ihre Lippen zu einem offenen Lächeln und kam schließlich zu seinem Tisch.
»Ricardo da Costa!«
»Das ist ja ein Zufall!«, sagte er. Er kam sich vollkommen bescheuert vor.
»Ja.« Sie stand noch immer neben seinem Tisch und wippte ungeduldig mit dem Fuß.
»Hast du es eilig?«, fragte er.
»Nein.«
»Komm, setz dich doch. Ich wollte gerade noch etwas bestellen. Was nimmst du?«
»Auf diesen Schreck? Einen Cognac.«
Ricardo bestellte einen Cognac und einen Kaffee. Als die Kellnerin fort war, überfiel ihn plötzlich große Befangenheit. Was hatte er schon mit dieser Frau zu besprechen, die wahrscheinlich inzwischen einen furchtbar tüchtigen Ehemann sowie einen Stall voll Kinder hatte und sich darüber hinaus nur mit den neuesten Modemagazinen beschäftigte? Er schwieg und betrachtete sie eingehend, was sie umgekehrt ebenfalls tat.
Sie trug keinen Ehering. Sie hatte eine klasse Figur und kleine Brüste – dass sie ohne BH mit einer dünnen Bluse herumspazierte, irritierte Ricardo. Aber demnach hatte sie wohl keine Kinder. Sie trug ihr Haar offen, mit Mittelscheitel und hinter die Ohren geklemmt, wie eine Studentin und nicht wie die respektable Gattin eines angesehenen Anwalts oder Arztes. Sie war modisch gekleidet, mit einer engen Bluejeans, die auf den Beckenknochen aufsaß und vom Knie abwärts überweiten Schlag hatte. Darunter schauten Clogs hervor, mit Plateausohlen aus Kork. An ihren Armen klimperten massenhaft Armreifen, in ihrem Dekolleté hingen unzählige Ketten. Ziemlich hippiemäßig, ging es Ricardo durch den Kopf, aber das war jetzt schließlich modern, oder nicht? Wenn schon seine eigene Mutter mit merkwürdigen Stirntüchern herumlief …
Marisas Gesicht hatte sich nur unwesentlich verändert. Es wirkte etwas strenger als früher, was daran liegen mochte, dass sie keinen Pony mehr trug. Sie benutzte kaum Make-up, was ihm gefiel. Sie hatte das auch gar nicht nötig, mit ihren hübschen Sommersprossen auf ihrer kleinen Nase und der Stirn. Sie hatte einen Hauch von Sommerbräune, die von ihren hell geschminkten Lippen – das Einzige an künstlicher Farbe, was sie anscheinend benutzte – betont wurde. Ihr Haar wirkte heller, als er es in Erinnerung hatte. Hellbraun, mit einzelnen blonden Strähnen darin.
Die Kellnerin kam, stellte die Getränke vor sie – wobei sie ihm den Cognac und Marisa den Kaffee gab – und beendete damit die gegenseitige Musterung. Ricardo nahm das Cognacglas, um es vor Marisa zu stellen. Sie tat dasselbe mit seiner Kaffeetasse. Ihre Hände streiften sich kaum merklich über dem Tisch. Sie lächelten einander zu. Die erste Beklommenheit verflog.
»Du siehst gut aus«, stellte sie fest. »Was machst du so?«
»Ich bin jetzt Pilot.«
»Wow! Fliegst du diese ganz großen Maschinen, diese Jumbo-Jets?«
Er lächelte, vielleicht ein wenig herablassend. »Wer will schon Pilot bei einer der großen Airlines sein? Geschweige denn bei unserer portugiesischen TAP ? Nein, ich fliege kleinere Apparate. Privatjets und
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