So weit der Wind uns trägt
zurückgekommen?«
Und Ricardo erzählte. Es tat ihm gut, endlich reden zu können, einfach jemanden zu haben, der seine abenteuerliche Story unvoreingenommen anhörte, ohne immerzu eigene Befindlichkeiten in den Vordergrund zu stellen, so wie seine Mutter, die mehr über Jack hatte wissen wollen als über die Erlebnisse ihres Sohnes. Marisa unterbrach ihn nur ein einziges Mal, und zwar gleich zu Anfang.
»Ach ja, dein Vater. Der Amerikaner. Weißt du, ich habe dir das damals nicht geglaubt.«
»Ich hätte es mir damals auch nicht geglaubt.«
Sie lachten, er fuhr in seiner Berichterstattung fort, und nach etwa einer Stunde und zwei weiteren Tassen Kaffee schloss er seine Geschichte mit der Feststellung: »Und jetzt bin ich hier.«
»Ja«, sagte Marisa. »Ich dagegen kann jetzt nicht mehr lange hierbleiben. Ich war auf dem Weg zu … einer Freundin. Die habe ich schon viel zu lange warten lassen.« Sie stand auf, kramte aus ihrer Tasche einen Schein hervor und legte ihn auf den Tisch. Ricardo bedeutete ihr, ihn wieder einzustecken. »Die Rechnung übernehme ich.«
»Danke. Also dann …«
»Deine Telefonnummer.« Er formulierte es nicht als Frage oder Bitte, sondern so, als sei das längst geklärt und er wolle sie nur daran erinnern. »Du hast doch morgen Abend noch nichts vor?«
Sie nannte ihm die Nummer und verabschiedete sich mit zwei Wangenküsschen. Ricardo sah ihr nach und machte sich im Stillen Vorwürfe für seinen Redefluss. Es war einfach so aus ihm herausgesprudelt, wahrscheinlich, weil er sich schon viel zu lange mit niemandem mehr ausgetauscht hatte. Aber konnte von Austausch überhaupt die Rede sein? Sie hatte so gut wie nichts von sich erzählt. Und er hatte auch nicht danach gefragt. Er war sich ziemlich sicher, dass sie ihn für einen unsensiblen Mistkerl hielt. Er selber hielt sich jedenfalls dafür.
Einige Tage nach dem Termin bei seinem Anwalt erreichte Fernando Abrantes ein Brief, der ihn derartig aufregte, dass man einen Arzt rufen musste.
»Halt mir diesen Quacksalber vom Hals!«, fuhr er seine Frau an. »Schick lieber einen Irrenarzt nach Belo Horizonte, um diesen Hanswurst zu bremsen! Der will tatsächlich jedem Tölpel das Fliegen beibringen und den Himmel mit unfähigen Dummköpfen füllen, die sich Pilot nennen dürfen! Aber nur über meine Leiche, das sage ich dir, nur über meine Leiche …«
Elisabete ließ ihn weiter krakeelen. Sie zog den Arzt am Ärmel vor die Tür und bat ihn, flüsternd und in verschwörerischem Ton, er möge ihrem Mann doch freundlicherweise eine Beruhigungsspritze geben. Sie wolle den Kranken kurz ablenken, damit er, der Senhor Doutor, das Überraschungsmoment nutzen könne, um ihrem Mann diese Spritze zu setzen. Genauso geschah es. Die Dosis war vielleicht etwas zu hoch, denn Fernando erschlaffte augenblicklich und ließ den Brief, der ihn so wütend gemacht hatte, zu Boden fallen. Elisabete hob ihn auf, streichelte ihrem Mann die Wange und verließ den Raum, um in Ruhe zu lesen, was wohl so Schlimmes in dem Brief stand. Sie fand ihn sehr freundlich und ehrerbietig und konnte sich beim besten Willen nicht erklären, was Fernando dagegen haben konnte, dass auf dem fraglichen Gelände eine Flugschule ihren Betrieb aufnehmen würde. Ausgerechnet er, mit seiner Begeisterung fürs Fliegen.
Was war nur in ihn gefahren?
49
C ristiano schloss seine Wohnungstür so leise auf, wie es irgend ging. Er wollte nicht, dass die Nachbarn mitbekamen, zu welchen Zeiten er das Haus betrat oder verließ. Insbesondere seine direkten Nachbarn, die Familie Nogueira, brauchte nicht über jeden seiner Schritte informiert zu sein. Ihre halbwüchsige Tochter würde ihm nachher noch viel öfter auflauern, als sie es jetzt schon tat. Das Mädchen war vielleicht dreizehn. Es schwärmte für Paul McCartney von den Beatles. Von den Ex-Beatles, besser gesagt: Die Gruppe hatte sich gerade getrennt. Und Paul McCartney hatte sich seinen Bart wieder abrasiert. Dennoch war Cristiano mit seinen traurigen Bernhardineraugen, seinem schulterlangen, seidig-braunen Haar und dem wilden Vollbart ein ziemlich guter Ersatz als Anbetungsobjekt. So realistisch war die Kleine immerhin, dass sie wusste, dass Paul McCartney definitiv außerhalb ihrer Reichweite lag.
Cristiano drückte die Tür auf, griff hinein zum Lichtschalter im Flur und wollte gerade von innen schließen, als er das Mädchen sah. Es tat so, als sei es zufällig auf dem Weg nach unten. In einer Hand hielt es einen nicht
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