So weit der Wind uns trägt
Mann sprechen. Es handelt sich um eine … persönliche Angelegenheit.«
»Hören Sie, mein Kind, ich bin seit über fünfzig Jahren mit dem General verheiratet. Er hat keine ›persönlichen Angelegenheiten‹, die nicht auch meine wären.«
Marisa wand sich vor Unbehagen. Damit hätte sie rechnen müssen. Warum hatte sie sich nicht einen guten Vorwand ausgedacht? Die alte Dame würde sie wahrscheinlich in Kürze hinauswerfen, wenn ihr nicht bald etwas Sinnvolles einfiel.
Doch Elisabete Abrantes tat nichts dergleichen. Stattdessen fragte sie mit hochgezogener Augenbraue: »Hat es irgendetwas mit dieser Juliana da Costa zu tun?«
Marisa nickte. Was hatte das zu bedeuten? Wusste die Frau mehr als ihr Mann und Ricardo zusammen?
»Na, dann gehen Sie zu ihm, meine Liebe. Vielleicht heitert ihn das auf. Er ist sehr krank.« Sie schritt kerzengerade vor Marisa einher, und Marisa konnte nicht anders, als die Dame für ihre Haltung zu bewundern – nicht nur die körperliche.
Elisabete klopfte an die Tür des Arbeitszimmers, wartete aber kein »Herein« ab, sondern öffnete die Tür einen Spaltbreit. »Du hast Besuch, Fernando.« Dann gab sie Marisa durch einen Wink zu verstehen, dass sie eintreten dürfe. Hinter ihr schloss sie die Tür. Marisa war nun allein mit dem alten Mann, der mit geschlossenen Augen in einem Sessel saß.
Sie räusperte sich vernehmlich. Schlief der Mann etwa? Nein, jetzt schlug er die Augen auf. Sofort veränderte sich sein ganzer Ausdruck. Hatte er soeben noch gewirkt wie ein hinfälliger Greis, farblos, faltig, kraftlos, so sah er plötzlich sehr unternehmungslustig aus. Das Grün seiner Augen verschlug Marisa den Atem. Sie leuchteten mit ungebrochener Brillanz, und bei einem Blick in diese Augen vergaß man auf der Stelle alles darum herum. Es war kein Wunder, dass Ricardo nie erkannt hatte, wer dieser Mann in Wahrheit war. Von weitem wirkte er wie ein x-beliebiger alter Mann, mit schlohweißem Haar und einem so verwitterten Gesicht, dass die einstigen Merkmale nicht mehr klar zu erkennen waren. Aus der Nähe jedoch erkannte man, was für ein agiler Geist sich hinter der zerfurchten Stirn befand. Ricardo war an diesen Mann, der ganz ohne Zweifel sein Großvater war, nie nah genug herangekommen, um die Wahrheit zu sehen.
»Verzeihen Sie meinen Überfall, General. Mein Name ist Marisa Monteiro Cruz. Ich bin die Verlobte von Ricardo da Costa, und ich würde Sie gern in einer Sache sprechen, die …«
»Hat der Knabe nicht den Mumm, selbst vorbeizukommen?«, unterbrach er sie. Seine Augen funkelten sie wütend an.
»Er weiß nicht, dass ich hier bin.«
»Und was wollen Sie dann hier?«
Marisa überlegte nicht lange. Angriff war die beste Verteidigung. »Ich finde es sehr traurig, dass Sie und Ihr Enkel sich so bekriegen.«
»Sind Sie von Sinnen? Wovon reden Sie?«
Marisa öffnete ihre Handtasche – ein unmögliches Spießerteil, das sie von ihrer Mutter geschenkt bekommen und nie zuvor benutzt hatte – und zog das Foto daraus hervor, das sie in der Kiste gefunden hatte.
»Das sind Sie, nicht wahr?«
Fernando nahm ihr das Foto ab und betrachtete es mit versonnener Miene.
»Kaum zu glauben, was?« Er zwinkerte ihr zu.
Marisa fischte nun ein zweites Foto aus ihrer Tasche, eines, das sie selber noch vor wenigen Tagen von Ricardo geschossen hatte. Er stand neben seiner Cessna und grinste eroberungslustig. »Und das«, damit reichte sie dem alten Herrn das Bild, »ist Ihr Enkel. Ricardo da Costa.«
Er betrachtete das Foto eingehend. Seine Hand zitterte leicht. Davon abgesehen ließ er sich seine Gefühle nicht anmerken. Er sagte nichts. »Ich finde es nur erstaunlich, dass Sie nicht schon selber die Ähnlichkeit bemerkt haben«, sagte Marisa, der die Stille sehr unangenehm war. Aber sie drang nicht mehr zu ihm durch. Er schien auf einmal völlig weggetreten zu sein.
Fernando war geschockt. Das konnte nicht sein. Das
durfte
nicht sein! Wie hätte ihm Jujú so etwas verschweigen können? Wie hätte sie fast ein halbes Jahrhundert lang dieses Geheimnis mit sich herumtragen und es schließlich sogar mit ins Grab nehmen können? Er hätte doch etwas spüren müssen. Ihre Verwandten hätten es merken können. Es gab jede Menge Leute, die Jujú und ihn sowie diesen Cowboy kannten – warum hatte niemand diese frappierende Ähnlichkeit zwischen ihnen gesehen? Weil, beantwortete er sich selber die letzte Frage, er nicht mehr dem jungen Fernando glich. Das Alter machte alle Menschen
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