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So weit der Wind uns trägt

So weit der Wind uns trägt

Titel: So weit der Wind uns trägt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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bist, ähnelst du wieder mehr der Jujú, die ich einmal kannte.« Seine Belustigung wirkte gekünstelt. »Die ich geliebt habe.«
    »Ach?« Was sollte das? Wie konnte er so vermessen sein, ihr ein schlechtes Gewissen einreden zu wollen? Konnte sie etwas dafür, dass er weggegangen war? Dass sie zu jung gewesen war, Rui zu hübsch und die Welt zu aufregend? Natürlich hatte sie sich den Kopf verdrehen lassen von dem schönen Schein, welchem jungen Mädchen wäre es nicht so gegangen? Und im Grunde passierte jetzt ja auch nichts anderes: Kaum trat Fernando auf die Bühne wie ein schöner Rächer –
Seht her, Leute, ihr alle habt mir Unrecht getan, aber es wird euch noch leidtun
 –, fiel sie wie alle anderen auch auf seine Erscheinung herein, auf das Zackige in seinen Bewegungen, auf den unbeugsamen Stolz in seinen Augen, auf den unwiderstehlichen Reiz, den allein sein ausgefallener Beruf auf die Menschen ausübte. Pah! Was wusste sie schon von ihm? Vielleicht trank er heimlich? Vielleicht hatte er Schulden, oder vielleicht hatte er sogar ein Mädchen geschwängert und sich von dannen gemacht?
    Fernando sah sie spöttisch an. »Geschwätzigkeit kann man dir jedenfalls nicht unterstellen.«
    »Dir noch viel weniger. Wenn du mir etwas zu sagen hast, dann tu es doch. Wie soll ich wissen, was dich bewegt, wenn du so verstockt bist?«
    »Ich glaube, dass du es weißt.« Sein Blick schweifte in die Ferne, zu den Dörfern, die sich gleißend weiß auf den Hügelspitzen erhoben, zu den vielen isolierten Gutshöfen, die inmitten von Olivenhainen lagen, und zu den Brunnen, die von weitem aussahen wie dunkle Tupfen auf den hellen Feldern. Jujú ahnte, was ihm durch den Kopf ging: Aus der Ferne betrachtet wirkte das Land lieblich – doch zu dem, der es bearbeiten musste, war es hart und unerbittlich.
    »Von oben aus der Luft sieht alles ganz klein aus«, sagte er nun. »Das rückt die Perspektive ins rechte Lot. Wenn mir früher die Ländereien deines Vaters wie das Universum erschienen waren, so sehe ich sie heute als das, was sie sind: 12 000 Hektar Land, eine Gutsbesitzerfamilie auf dem
monte
und zahlreiche kleine
aldeias
, deren Bewohner das Land, an dem sie keinerlei Rechte besitzen, als ihre Heimat betrachten.«
    »Bist du etwa unter die Kommunisten gegangen?«
    »Mache ich auf dich den Eindruck eines Mannes, der sich irgendeiner Art von diktierter Gleichmacherei unterwerfen würde?«, fragte er zurück.
    »Nein.« Jujú hatte keine Lust, sich ausgerechnet jetzt über die Rechte der Landarbeiter oder ähnlich geartete Fragen politischer Natur zu unterhalten. Stattdessen beschäftigte sie sich eingehend mit dem Verschluss der Feldflasche, die sie mitgebracht hatte. Er klemmte.
    Als Fernando ihr das Gefäß abnehmen wollte, um ihr beim Öffnen zu helfen, berührten sich ihre Finger.
    Vielleicht war es diese flüchtige Berührung, vielleicht auch seine Geste, in der Ungeduld und etwas leicht Befehlshaberisches lagen, dass Jujú sich plötzlich nach ihm sehnte, wie sie sich noch nie nach etwas gesehnt hatte. Sie sah ihm in die Augen, und wie von selbst fanden ihre Hände zueinander. Die Wärme seiner Hand, in der ihre eigene, eiskalte versank, übertrug sich auf ihren ganzen Körper. Fernandos Gesicht näherte sich dem ihren, und unter seinen halb geschlossenen Lidern sah sie dieselbe Leidenschaft, die auch sie selber fühlte.
    Doch bevor Jujú die Wirrungen ihres Herzens und ihres Körpers näher erforschen konnte, bevor sie und Fernando den vielleicht dümmsten Fehler ihres Lebens begingen, wurden sie von dem Gerumpel eines herannahenden Pferdekarrens aus ihrer kurzzeitigen Entrückung gerissen.
    Schon von weitem sah Jujú den scheußlichen Sonntagshut ihrer Schwester Beatriz. Dann erkannte sie, dass außerdem Joana und ihre Familie mitfuhren. Jujú winkte und hoffte, dass der Wagen einfach vorbeifuhr. Aber er blieb auf ihrer Höhe stehen, so dass ihr und Fernando nichts anderes übrig blieb, als die Störenfriede zu begrüßen.
    »Den Kindern zuliebe mussten wir dieses entsetzliche Gefährt hier nehmen«, entschuldigte Joana sich, bevor sie ihnen beiden die Hand reichte.
    Jujú stellte Fernando als ihren »alten Freund, Senhor Abrantes« vor. Als Fernando zum Verwalter von Belo Horizonte bestellt worden war, hatte Joana schon nicht mehr dort gelebt.
    »
Coronel
Abrantes, wenn mich nicht alles täuscht?«, verbesserte Beatriz ihre Schwester. Und zu ihm gewandt sagte sie: »Glückwunsch, Fernando. Du hast dich wirklich

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