So weit der Wind uns trägt
und rückte mit dem heraus, was ihm wirklich auf der Seele lag. »Ich liebe dich. Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben, und ich wollte und will keine andere als dich zur Frau. Ich war nicht gut genug für dich, bin es wahrscheinlich noch immer nicht. Trotzdem kann ich jetzt nicht länger warten. Sonst kommt mir noch dieser Pfau zuvor.«
Er stellte den Becher ab und griff nach Jujús Hand. Sie ließ ihn gewähren, und ihr zartes, zerbrechlich wirkendes Händchen in seiner Pranke erfüllte ihn mit Rührung. Er räusperte sich. »Der Moment ist vielleicht nicht gut gewählt. Du sollst auf keinen Fall glauben, dass ich auf dein Mitleid setze.«
Jujú blinzelte, um die Tränen zurückzuhalten. Was sagte er da? Weshalb Mitleid? Würde er etwa in den Krieg ziehen müssen? Die Vorstellung, dass Fernando in dem wackligen Flugzeug saß und beschossen wurde, dass er abstürzte und einsam auf einem tristen nordeuropäischen Acker starb, war zu viel für sie. Sie schluckte schwer. Die Schrecken des Krieges, über die sie bislang mit so bestürzender Teilnahmslosigkeit gelesen hatte, rückten auf einmal nah. Zu nah. Plötzlich verstand sie die Klagen, die Trauer, die Wut. Wie konnten sich irgendwelche Staatsoberhäupter das Recht herausnehmen, über ihrer aller Leben zu entscheiden? Wie grausig war die Vorstellung, dass die jüngsten, schönsten, vielversprechendsten Männer sich gegenseitig abschlachteten, nur weil man ihnen verordnete, die Nationalität des anderen hassenswert zu finden? Jujús Kinn und ihre Lippen bebten bedenklich, bis es ihr schließlich nicht länger gelang, ihr Weinen zu unterdrücken. Sie schluchzte leise.
Fernando ließ ihre Hand los, holte eine Fotografie aus der Innentasche seiner Jacke und gab sie ihr.
»Hier.« Er sah sie aufmunternd an. »Ganz gleich, wo ich stecke – damit bin ich immer bei dir.«
Sie betrachtete das Bild und lächelte versonnen. Fernando stand lässig neben einem Doppeldecker, die Fliegerbrille auf die Lederkappe auf seinem Kopf geschoben, ein Bein angewinkelt über das andere gestellt, die Arme auf die Hüften gestemmt, in seinem Gesicht ein untypisch jungenhaftes Grinsen. So kannte sie ihn bisher nicht, so draufgängerisch, so gelassen, locker, fast verspielt, und sichtlich in seinem Element. Der Mann auf dem Foto war kein alentejanischer Bauer, der an seiner Schroffheit und an seiner Strenge mit sich selbst zu ersticken drohte. Es zeigte einen sorgenfreien jungen Mann, der es nicht erwarten konnte, wieder in die Lüfte emporzusteigen. Jujús Herz schlug schneller. Das Bild zeigte einen Mann, in den sie sich auf der Stelle verliebte.
Sie ließ das Foto in ihren Schoß sinken und wollte sich mit einer Hand die nasse Wange abwischen. Doch da spürte sie auch schon Fernandos Lippen auf ihrer Haut, der ihr mit unendlicher Sanftheit die Tränen fortküsste.
João schüttelte sich. Die ganze Szene war in ihrer Rührseligkeit so abstoßend, dass er am liebsten sofort den Blick abgewendet hätte. Zugleich war sie derartig faszinierend, dass er gar nicht anders konnte, als weiter hinzusehen. Er presste das Fernglas fester an seine Augen, als könne er dadurch noch näher an das Geschehen heranrücken. Es fiel ihm schwer, richtig zu fokussieren. Ohne das Fernglas bereitete ihm sein nach innen gedrehtes Auge keine Schwierigkeiten – er sah so gut wie jeder andere, auch wenn es ihm keiner abnahm und ihn alle als »Schielauge« hänselten. Aber mit dem Gerät war seine Sehkraft tatsächlich beeinträchtigt. Er schloss ein Lid und beobachtete das Paar durch sein gutes Auge.
Die feine Juliana hatte ein paar Krokodilstränen gequetscht, worüber auch immer, und Fernando, dieser arrogante Emporkömmling, hatte ihr eine Fotografie gegeben. Wahrscheinlich eine, auf der er selber zu sehen war. Das passte zu seiner eingebildeten Art, dachte João. Der Kerl hatte sich schon immer für etwas Besseres gehalten – und alle über sein wahres Wesen hinweggetäuscht, indem er sich als bescheidenes armes Bäuerlein gebärdete. Ha!
Fernando und Juliana umklammerten einander wie Ertrinkende. Sie küssten sich mit einer solchen Inbrunst und so lange, dass João schon geneigt war, sein Versteck zu verlassen. Die vornehme Dame würde, wenn sie auch nur im Geringsten ihrer Schwester Beatriz ähnelte, ihrem armen Schlucker bestimmt nicht gestatten, ihr noch näher zu kommen. Beatriz jedenfalls hatte ihm, João, nicht mehr Zärtlichkeiten erlaubt. Die intimste ihrer Handlungen war gewesen, dass
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