So weit der Wind uns trägt
seiner Unfähigkeit und Faulheit wegen – die sogar seinem eigenen Vater nicht entgangen waren – hatte er das Rennen gegen Fernando verloren. Im Übrigen, fand Jujú, war Beatriz sehr viel besser dran ohne diesen Mitgiftjäger.
»Im Gegenteil«, erwiderte sie nun den ungerechtfertigten Vorwurf, »er hat dich vor dem Schlimmsten bewahrt. Sei froh, dass du nicht mit Schielauge verheiratet bist. Er wollte doch nur dein Geld. Kaum dass er Zugriff darauf gehabt hätte, wäre er dir untreu geworden.«
Beatriz zog eine Grimasse, als hätte sie einen Schlag ins Gesicht erhalten. »Dass er mich um meiner selbst willen geliebt hat, kannst du dir wohl nicht vorstellen? Kann sich das überhaupt jemand vorstellen?«
»Bia …«
»Nenn mich nicht so. Du brauchst jetzt nicht auf lieb Kind zu machen. Überhaupt wäre ich froh, wenn ich dein süßes, verlogenes Gesicht nie wiedersehen müsste.« Damit stürmte sie an Jujú vorbei die Treppe hinauf. Oben hörte man eine Tür knallen. Jujú blieb auf der Treppe zurück, erschüttert und unfähig, diese Offenbarungen zu begreifen. Was taten sich da für Abgründe auf, von denen niemand in der Familie etwas ahnte?
Jujú schlug die Augen wieder auf. Es fiel ihr schwer, den bitteren Nachgeschmack dieser Begegnung loszuwerden. Noch schwieriger war es, Mitgefühl für ihre Schwester zu empfinden. Jujú war sich nun sicher, dass Beatriz Fernandos Briefe an sich genommen hatte, aber beweisen ließ sich das kaum.
Über zwei Stunden hatte Jujú bereits unter dem Baum gesessen. Ihre Beine waren eingeschlafen. Sie stand auf, um die Blutzirkulation wieder in Schwung zu bringen. Es kribbelte von den Zehen bis zu den Oberschenkeln, als sie die Beine schüttelte, aufstampfte, auf den Füßen wippte. Sie musste einen ziemlich sonderbaren Anblick bieten, dachte sie. Und natürlich kam genau in diesem Augenblick Fernando.
Er trug wieder die Uniform – wahrscheinlich würde er von ihrem Stelldichein direkt zum Bahnhof gehen. Er strahlte bis über beide Ohren. Die Morgensonne schien ihm direkt ins Gesicht, wie ein Bühnenscheinwerfer, der die Vorzüge des Hauptdarstellers aufs Beeindruckendste ausleuchtete. Seine Zähne wirkten noch weißer als sonst, seine Augen waren von einem Grün, das so hell und so intensiv war wie die Farbe junger Birkenblätter.
Fernando warf seine Mütze auf den Boden. Dann trat er wortlos auf sie zu, um sie, wie sie glaubte, mit Küsschen zu begrüßen. Sie hielt ihm ihre rechte Wange hin und fühlte seine Lippen an ihrem Mundwinkel. Dass er sie offensichtlich auf den Mund hatte küssen wollen, verwirrte sie mindestens ebenso sehr wie ihn. Der Kuss auf die andere Wange traf an der richtigen Stelle. Dennoch blieb bei beiden eine Spur von Beklommenheit.
»Jujú«, sagte er mit rauer Stimme. »Ich dachte …«
Ja, sie hatte dasselbe gedacht. Dass sie sich hier treffen würden, dass sie wieder dort ansetzen könnten, wo sie vor langer Zeit aufgehört hatten, dass der gestrige Nachmittag ihre alte Vertrautheit wiederbelebt hätte. Die halbe Nacht hatte sie wach gelegen und ihre widersprüchlichen Gefühle sondiert. Klargeworden war ihr nur, dass sie Rui nicht liebte – und dass sie vor Sehnsucht nach Fernando verging. Aber war es vielleicht nur körperliche Begierde, die er in ihr entfachte? In der Nacht hatte sie sich nichts inniger gewünscht, als dass er sie endlich wieder in seine Arme schließen würde, hatte von seinen Küssen und seinen Zärtlichkeiten geträumt. Jetzt war sie sich ihrer eigenen Lust nicht mehr so sicher. Wäre es klug, ihr nachzugeben, nur um die frisch erneuerte Freundschaft wieder zu zerstören?
»Komm, setzen wir uns.« Sie nahm ihn bei der Hand und zog ihn mit auf die Decke unter dem Baum. Dann holte sie eine mit Kork isolierte Kanne aus ihrem Korb, goss Kaffee in einen Becher und reichte ihn Fernando. »Hier, möchtest du? Zucker ist schon drin.«
»Danke.« Er nahm den Becher und umfasste ihn mit beiden Händen, als wolle er sich daran wärmen. Er starrte gedankenverloren in seinen Kaffee und fing dann an zu reden, ohne aufzuschauen.
»Weißt du, ich glaube, dass auch Portugal bald in das Kriegsgeschehen hineingezogen wird. Die Deutschen schäumen vor Wut, weil wir ihre Schiffe vor unserer Küste versenkt haben.« Er trank schlürfend einen Schluck. »Hm, gut.« Wieder schwieg er einen Moment und betrachtete den Dampf, der von dem Getränk aufstieg. Schließlich hob er den Kopf, sah Jujú in die Augen, straffte seine Schultern
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