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So weit die Hoffnung trägt - Roman

So weit die Hoffnung trägt - Roman

Titel: So weit die Hoffnung trägt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Poltergeist. Ich hatte die Bitterkeit eines nicht akzeptierten Verlusts gesehen. Ich hatte gesehen, was auch aus mir werden könnte, welchen Schrecken die Zukunft vielleicht für mich bereithielt.

Fünfundzwanzigstes Kapitel
    Was ist mit mir los? Irgendetwas stimmt nicht.
    A LAN C HRISTOFFERSENS T AGEBUCH
    Die Lebenserfahrungen eines Menschen sind wie ein Buch. Es gibt kein uninteressantes Leben. So etwas ist einfach nicht möglich. Unter dem unscheinbarsten Äußeren verbirgt sich ein Drama, eine Komödie und eine Tragödie.
    Mark Twain
    Ich verließ Hannibal nur ungern. Auf dem Weg aus der Stadt hielt ich bei Mark Twains Höhle, derselben Höhle, die Twain in fünf seiner Bücher erwähnte – von denen das berühmteste Die Abenteuer des Tom Sawyer ist, wo Tom und Becky es mit Indianer-Joe zu tun bekommen.
    Ich ließ meinen Rucksack hinter dem Tresen im Souvenirladen stehen, dann betrat ich die Höhle mit einem hochgewachsenen, jungenhaften Führer und einer kleinen Gruppe von einer Gemeinde-Gottes-Bibelklasse, die aus Memphis, Tennessee, zu Besuch war.
    Mark Twains Höhle war bemerkenswert – ein Labyrinth aus abfallendem Kalkstein, das sich über sechs Meilen tief in den Bauch des Hügels schlängelte und wand.
    »Hier drinnen könnte man sich mehr verirren als auf dem New Jersey Turnpike«, bemerkte unser Führer. Wie er ausgerechnet auf diesen Vergleich kam, war mir ein Rätsel. Ob er sich einmal irgendwann in New Jersey verirrt hatte?
    Im Verlauf der nächsten Stunde suchten wir uns einen Weg durch ein paar Dutzend der über 260 Höhlengänge. Es war kalt in der Höhle, die Temperatur beträgt das ganze Jahr über elf Grad, und viele in unserer Gruppe jammerten, weil sie ihre Pullover nicht mitgenommen hatten.
    Zu den vielen Dingen, die wir dort sahen, gehörte auch die Unterschrift von Jesse James, der sich nach einem Eisenbahnraub in einer nahe gelegenen Stadt in der Höhle versteckt hatte.
    Unser Führer ging mit uns zur Grand Avenue, dem größten Raum in der Höhle, wo Tom und Becky im Dunkeln festsaßen, nachdem eine Fledermaus Beckys Kerze gelöscht hatte. Diese Geschichte war eine natürliche Überleitung zum Höhepunkt der Tour (eigentlich aller Höhlentouren), als unser Führer das Licht ausschaltete und uns aufforderte: »Halten Sie sich die Hand vor das Gesicht, und versuchen Sie, ob Sie sie sehen können.«
    Natürlich konnten wir es nicht. »Schwarz wie die Sünde«, hätte McKale gesagt. Ehrlich gesagt wäre sie gar nicht erst mit in die Höhle gekommen, denn sie hatte schreckliche Platzangst. Witzigerweise sagte irgendjemand »autsch«, nachdem er sich selbst auf die Nase geschlagen hatte.
    Unser Führer schaltete das Licht wieder an und fuhr dann fort: »Ich will Ihnen noch eine interessante Tatsache erzählen. Das menschliche Auge braucht Licht, um zu überleben. Wenn Sie sich in dieser Höhle verirren würden, wären Sie nach sechs bis acht Wochen für immer blind.«
    »Stellen Sie sich das mal vor«, sagte die Frau neben mir. »Das wäre ja grauenhaft.«
    »Wenn Sie sich in dieser Höhle verirren würden, wären Sie längst tot, bevor Sie blind werden könnten«, sagte ich.
    »Oh«, sagte sie. »Darauf bin ich gar nicht gekommen.«Seltsamerweise lächelte die Frau, als wäre das ein tröstlicher Gedanke.
    Unser Führer fuhr fort: »Diese Höhle gehörte einmal einem Arzt aus Hannibal namens Joseph Nash McDowell, der die Höhle kaufte, um ›wissenschaftliche‹ Versuche mit Mumifizierung durchzuführen. Als seine Tochter starb, brachte er sie hierher und balsamierte sie ein. Er führte seine Versuche in dieser Spalte etwa fünfzig Meter weiter hinten durch.«
    »Augenblick«, sagte ich. »Er hat Versuche mit dem Leichnam seiner Tochter durchgeführt?«
    »Ja, Sir«, sagte der Führer.
    Ich schüttelte den Kopf. Wenn man denkt, die Leute könnten nicht mehr seltsamer werden, taucht ein Joseph Nash McDowell auf.
    Nach der Tour holte ich meinen Rucksack und ging zurück in Richtung Hannibal. Das war nicht mein ursprünglicher Plan. Die Höhle lag auf dem Weg zum Highway 79, einer malerischen Route, die dem Mississippi River an der Grenze zwischen Missouri und Illinois entlang nach Süden folgte. Aber als ich mich bei einem Angestellten im Souvenirladen noch einmal nach meinem Weg erkundigte, erfuhr ich, dass der Fluss kürzlich die Straße überspült hatte und der Highway gesperrt war. Ich nahm an, dass ich vermutlich immer noch um die Bautrupps herumlaufen könnte, aber der Angestellte

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