So will ich schweigen
Lächeln. Sie schmiegte ihr Gesicht an die Hand ihrer Mutter, wie ein Säugling, der Körperkontakt sucht. Dann schlug sie die Augen auf, und Juliet sah, wie sie sich mit Bewusstsein füllten, spürte, wie ihre Tochter erstarrte und ihrer Berührung auswich. Ganz langsam und bewusst drehte Lally ihrer Mutter den Rücken zu und rückte an die Kante des Sofas, und Juliet glaubte, ihr Herz müsse zerspringen.
Er hatte sich nicht vorstellen können, wie das Blut riechen würde, wie samtig es sich an seinen Fingern anfühlen würde. Er hatte nicht ahnen können, dass die Erinnerung ihn wach halten würde, dass er sich im Bett herumwälzen würde, geplagt von einem merkwürdigen, nervösen Unbehagen, wie ein lästiges Jucken tief in seinen Adern. Er hatte ein rauschhaftes Hochgefühl erwartet, nicht diese nur halb eingestandene
Angst, dass die Dinge ihm rapide aus den Händen glitten, dass alles um ihn zusammenzustürzen drohte.
Doch nun, da die Bilder zurückkehrten, machte sich tief in seinem Innern ein großes Gefühl der Zufriedenheit breit.
16
»Die Rechtsmedizinerin und die Spurensicherung dürften jeden Moment hier sein«, sagte Larkin, als Babcock hinter ihr den Leinpfad entlangstapfte. »Kommt der Sergeant auch?«
»O ja, er kommt. Er ist bloß noch nicht hier.« Babcock umkurvte eine riesige Pfütze – nur gut, dass er sich in letzter Minute noch für die Stiefel entschieden hatte. Und kalt war es auch. Der am frühen Morgen noch porzellanblaue Himmel begann sich einzutrüben, und ein schneidender Westwind fegte durch die Hecken. Als Larkin sich erstaunt zu ihm umdrehte, fügte er hinzu: »Ich habe ihn zu dem Viehstall geschickt; er soll dort den Rückbautrupp beaufsichtigen. Ich finde, wir sollten ganz sichergehen, dass da keine weiteren Leichen in den Mauern versteckt sind. Und ich hab auch Geräte zum Durchleuchten des Bodens beantragt.«
»Ach du Scheiße«, bemerkte Larkin kurz und bündig. »Da wird Ihre Mrs. Newcombe der Schlag treffen. Und der Sergeant ist wahrscheinlich auch nicht überglücklich.«
»Es wäre nicht gerade Sergeant Rasanskys erste Wahl gewesen, das fürchte ich auch, aber gemacht werden muss es.« Babcock wollte sehen, wie Larkin sich bei einer bedeutenden Ermittlung bewährte. Sie stand unter Strom, das merkte er an der mühsam unterdrückten Erregung in ihrer Stimme und an ihrer Körpersprache, aber bei der Befragung des Zeugen war sie freundlich und zugleich gründlich gewesen.
Und das war auch gut so, da sich dieser Zeuge als Sohn eines Superintendent von Scotland Yard entpuppt hatte. Er hatte
den Jungen unter der Aufsicht des uniformierten Constable auf seinen Vater warten lassen, aber in diesem Fall hatte er ausnahmsweise keinen Zweifel, dass der Zeuge sich zur Verfügung halten würde. Babcock war sich nicht sicher, was er davon halten sollte, dass Scotland Yard – in Gestalt seines alten Kumpels – ihm bei einer Mordermittlung über die Schulter schaute. Er grübelte noch darüber nach, als sie um eine scharfe Biegung des Kanals gingen und er in der Ferne die zitronengelben Jacken der Uniformierten erblickte.
»Da sind sie, Chef«, ließ Larkin ihn wissen.
»Das sehe ich selbst«, erwiderte er gereizt, während er sich mühte, mit ihr Schritt zu halten. Seit der Scheidung nahm er es mit dem täglichen Joggen nicht mehr so genau, und das bekam er jetzt zu spüren.
Das Boot war von der Schar der Polizisten halb verdeckt, aber er konnte sehen, dass es mit dem Bug im Kanal trieb. Sonst deutete nichts darauf hin, dass sich jemand daran zu schaffen gemacht hatte oder dass es überhaupt bewohnt war. Dieser entlegene Abschnitt des Kanals war die reinste Bilderbuchidylle. Das Gras, das den Leinpfad säumte, leuchtete nach der Schneeschmelze smaragdgrün, das trockene Schilf am Kanalufer war golden, und in der schimmernden Wasseroberfläche spiegelten sich die knorrigen schwarzen Stämme und zarten Zweige der Weiden.
Gleich hinter dem Boot beschrieb der Kanal eine weitere Kurve, die den Betrachter neugierig machte, welche Geheimnisse sich dahinter verbargen. Es war ein magischer Ort – unvorstellbar, dass er auch der Schauplatz eines gewaltsamen Todes sein sollte. Zum ersten Mal konnte Babcock wirklich nachfühlen, was Kincaids Sohn empfunden haben musste, als er auf die Leiche gestoßen war.
Und es war auch kein idealer Ort für polizeiliche Ermittlungen. Larkin hatte recht gehabt – es gab offensichtlich keine andere
Möglichkeit hierherzugelangen als über den Weg,
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