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So zärtlich war das Ruhrgebiet

So zärtlich war das Ruhrgebiet

Titel: So zärtlich war das Ruhrgebiet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laabs Kowalski
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direkt an meiner Schädeldecke aus.
    „Na, endlich wach?“, fragte eine
weibliche Stimme.
    Ich richtete mich auf und
erkannte Carmen. Sie trug nur einen roten Slip und die transparente Bluse von
gestern. Dann schob sich eine männliche Gestalt neben sie, und eine Stimme sagte:
„Fängst ja früh das Saufen an. Wenn dass dein Vatter mitkriegt, möchte’ ich
nicht du sein, mein Junge!“
    Es war Manna, und ich erfuhr,
dass er und Carmen ein Paar waren. Er war es gewesen, der mich völlig betrunken
in einer Ecke des „Tom Tom Clubs“ fand, auf die Schulter gehievt und in sein
Bett gelegt hatte. Nun lachte er, reichte mir eine Kopfschmerztablette, jagte
mich unter die Dusche und gab mir Geld für ein Taxi. Kuffel hielt das Referat an
diesem Tag allein. Wie immer er das auch gemacht hat, er bekam eine zwei, ich
eine sechs, weil ich unentschuldigt fehlte.
     
    In den Nachrichten wurde von der Entführung des
Arbeitgeberpräsidenten Hans-Martin Schleyer berichtet. Mitglieder der Roten
Armee Fraktion hatten seinen Chauffeur erschossen und Schleyer gekidnappt.
Überall in der Stadt führten Polizisten Fahrzeugkontrollen durch. Dabei hielten
sie Maschinenpistolen in ihrer Hand. Ich fragte Harry mit der schief stehenden
Nase, und er erklärte mir, dass die R.A.F. im Grunde dasselbe wollte wie die
DKP, aber die falschen Mittel zur Erreichung ihres Zieles einsetzte. Nur wenn
man das Volk auf seiner Seite habe, könne der Umsturz gelingen und der
Unrechtsstaat BRD abgeschafft werden. Aber das Thema schien ihn sonst nicht
groß zu interessieren. Er war nun mit einem Mädchen namens Inka zusammen, das
ihn voll in Beschlag nahm. Er ging nur noch selten mit mir auf Konzerte; nicht
mal, als Ton, Steine, Scherben in Dortmund auftraten, wollte er mit.
     
    Im „Musikladen“ erschien ein gewisser Plastic Bertrand
und sang ein Punklied in französischer Sprache, „Ça plâne moi“. Richtige
Punkmusik war das aber nicht, sondern eher eine Parodie. Auch Dieter
Hallervorden trat in einem seiner Sketche als Punk verkleidet auf und zwar
völlig übertrieben. In Wirklichkeit sahen die ganz anders aus, nämlich ohne
Irokesenfrisur, so wie die Jungs von The Clash. Deren Song „Garageland“ hatte
ich im Partykeller auf der Fete von Kerstin Reddehase gehört. Immer noch nicht
meine Lieblingsmusik, aber gar nicht mal schlecht.
     
    Anfang Dezember kaufte ich von meinem Taschengeld einen
Adventskranz und platzierte ihn vorn in der Klasse auf dem Lehrertisch. Herr
Runde, unserer Klassenlehrer, kam, setzte sich und starrte ihn an. Dann fegte
er ihn mit seiner Rechten herunter, so dass er in die Ecke flog.
             „Wer war das?“, bellte er.
             Zaghaft hob ich meine Hand.
             „Das war nett von dir gemeint“, grollte er, „aber
so was haben diese Kretins nicht verdient“, womit er die anderen meinte.
             Die Wahrheit war: Der Kretin war zweifellos er.
Was für ein erbärmlicher Arsch! Leider war er nicht der einzige an unserer Schule.
Herr Kneißel, schwammig, schwitzend und häufig betrunken, war mindestens ebenso
sadistisch wie er und hackte mit Vorliebe auf Dirk Neuhäuser und Jörg
Sommerfeld herum, den er bevorzugt dicke Sumpfkuh nannte.
             „Sumpfkuh, zeig mal deine Hausausgaben!“
             Jörg ging nach vorn und reichte sie Herrn
Kneißel. Der nahm sie und warf sie aus dem Fenster.
             „Sumpfkuh, ich hab’ gesagt, du sollst mir deine
Hausausgaben zeigen!“
             Jörg begann zu zittern.
             „Sie haben sie gerade aus dem Fenster geworfen.“
             Herr Kneißel öffnete sein rotes Buch.
             „Sommerfeld ohne Hausaufgaben – sechs!“
             „Aber das können Sie nicht machen!“,
protestierte Jörg.
             Herr Kneißel öffnete das Klassenbuch und zückte
seinen Füller.
             „Sommerfeld stört massiv den Unterricht. Rüge!“
             Das Problem war, dass Sommerfeld von Herrn
Runde, wenn er diesen Eintrag im Klassenbuch entdeckte, ein zweites Mal
fertiggemacht werden würde.
             Auch der Mathe- und Chemieunterricht bei Herrn
Marx war nicht leicht. Er war ein Duz-Freund von Herrn Runde – ein genauso harter
Knochen wie er, der uns nicht das Geringste durchgehen ließ und es genoss,
seine Schüler vorne an der Tafel leiden zu sehen. Manchmal aber suchten ihn
traumatische Kriegserinnerungen heim, er fing an zu

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