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So zärtlich war das Ruhrgebiet

So zärtlich war das Ruhrgebiet

Titel: So zärtlich war das Ruhrgebiet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laabs Kowalski
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und die Frauen balancierten auf irre hohen Schuhen
herum, trugen goldene oder silberne Handtaschen und Discofrisuren. Es gab
Farbige, von denen einer einen roten Seidenanzug trug. Er hielt einen weißen
Pudel im Arm, den er dann und wann auf der Theke absetzte, um ihn aus einer
Schale Champagner trinken zu lassen. Mit Abenden in der „Kleinen Postkutsche“
hatte das alles gar nichts gemein.
    Eigentlich sollten Kuffel und ich
gemeinsam ein Referat für den Englischunterricht vorbereiten, und ich hatte
meinen Eltern gesagt, ich würde bei ihm übernachten. Aber als er mich nach der
Schule mit zu sich nach Hause nahm, hörten wir zunächst nur Musik, und er
suchte Platten für seine Abendschicht raus. Nun aber führte er mich hinter das
DJ-Pult und erklärte mir, wie man die Plattenspieler und die Lichtanlage
bediente. Ich war mir sicher: Genau so war es in Berlin und New York, und es
hätte mich nicht gewundert, wäre plötzlich die Tür aufgegangen und David Bowie
persönlich erschienen.
    Eine Kellnerin kam, um Kuffel zu
begrüßen. Sie trug Glitzer-Make-up und eine durchsichtige schwarze Bluse, unter
der man ihre nackten Brüste sehen konnte. Mit einem Blick auf mich sagte sie zu
Kuffel: „Der ist ja süß! Dein kleiner Bruder?“, und ich ärgerte mich. Ich war
nicht süß. Ich war … na ja, irgendetwas anderes halt, aber nicht süß, sondern
immerhin vierzehn. Dann aber küsste sie mich kurz auf den Mund, lachte und
fragte: „Was möchtest du trinken, mein Herz?“, und ich beschloss, ihr zu
verzeihen.
    Aus den Lautsprecherboxen drangen
fremdartige elektronische Klänge, und eine Frauenstimme sang dazu mantra-artig:
„Uuuh, I feel love … I feel love … I feel love … I feeeeeeee-eeel love …“ Ich schaute mir derweil die
hinter dem DJ-Pult stehenden Plattenregale an und fand lauter Zeug, von dem ich
noch nie was gehört hatte. Doobie Brothers? Steely Dan? Wer sollte das denn
bitte schön sein?
    Kuffel erlaubte mir, „Dancing
Days“ von Led Zeppelin aufzulegen. Vor lauter Aufregung und Nervosität
zitterten mir die Hände. Mein Gott, war das wirklich wahr? Ich, ehemaliger
Pissrinnenlieger und Müllcontainerbewohner, stand hier im „Tom Tom Club“ und
legte abends um elf einen Song von Led Zeppelin auf? Wahrscheinlich war ich
gestorben, ohne es zu bemerken, und durch ein Versehen in den Himmel gelangt!
Und es wurde noch besser, denn die Bedienung mit der durchsichtigen Bluse
brachte mir ein Glas mit Pernod-Cola, und als sie bemerkte, dass ich ihr wieder
auf den Busen stierte, sagte sie lächelnd: „Sehen gut aus, nicht? Wenn du
willst, leg ruhig mal deine Hände drauf!“
    Sie hieß Carmen und war mindestens
zwanzig – eine richtige Frau! Welche weiteren Wunder sollte mir das Leben jetzt
noch bieten?
    „He, was ist mit meinen Brüsten? Die gefallen dir nicht?“, rief eine sehr, sehr große Frau von der
Theke herüber, stand auf und kam tänzelnd auf mich zu. Sie beugte sich mir
entgegen, nahm meine Hand und drückte sie auf ihre rechte Brust.
    „Na, mein Süßer, wie fühlt sich
das an?“, fragte sie mich.
    Gut! Es fühlte sich gut an! Doch
alle, die es mitbekommen hatten, begannen zu lachen, auch Kuffel.
    „Was ist?“, fragte ich. „Wieso
lacht ihr jetzt alle?“
    „Das ist Timo“, antwortete Kuffel,
„ein Transvestit.“
    „Ein was?“
    „Ein Transvestit. Ein Mann, der
Frauensachen trägt.“
    Und Timo beugte sich vor und
hauchte: „Gefallen dir meine Brüste jetzt etwa nicht mehr?“
    Ich war überfordert, verlegen,
völlig aus der Fassung gebracht, wieder begannen sie alle zu lachen.
    „Hey, alles in Ordnung, Timo tut
dir nichts. War nur ’n Spaß!“, sagte Kuffel.
    Hätte ich doch nur den Mut
aufgebracht, Carmens Brüste anzufassen, als noch die Möglichkeit dazu bestand.
Jetzt war es leider zu spät. Dafür kam sie und brachte mir ein weiteres Glas
Pernod-Cola, diesmal ein großes.
    „Auf ex! Auf ex!“, schrien Timo,
Erdbeer-Didi, der Schwarze mit dem Pudel und die anderen von der Bar.
    „Mach langsam“, ermahnte mich
Kuffel. „Pernod-Cola haut ziemlich stark rein.“
    Aber was wusste er schon? Ich war
vierzehn! So ein bisschen Pernod-Cola machte mir gar nichts.
    Ich erwachte am nächsten Morgen
mit einem toten Hamster im Mund, zumindest fühlte sich der Geschmack auf meiner
Zunge so an. Als ich die Augen aufschlug, blickte ich in ein Zimmer, das ich
nicht kannte. Mein Kopf fühlte sich an, als probierten Mitarbeiter der Firma
Black & Decker ihre neuesten Bohrmaschinen

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