Social Netlove
einen Teil der intelligenteren Gesellschaftsschicht für ihr Programm abgreifen wollten – und der diskutierte nun mal gerne.
Heute jedoch war ich eher ruhig, was auch damit zusammenhängen konnte, dass ich unentwegt in die Chipsschüssel griff und gar nicht mehr aus dem Kauen herauskam. Thomas dagegen kommentierte nahezu jeden Dialog der Protagonisten und wiederholte ungefähr hundert Mal den einen Satz, der die ganze Sendung charakterisierte: »Verdammt, ist das unrealistisch!« Währenddessen tippte er ein paar Mal auf sein iPhone ein, um über Facebook und seinen Messenger diverse Nachrichten zu schreiben und in seinem E-Mail-Postfach die Mails zu checken. Es war mir unbegreiflich, wie er so süchtig nach dem Internet und dieser ständigen, anonymen Kommunikation sein konnte.
Nach der Cola ging ich trotz Thomas belustigtem Blick wieder dazu über, den restlichen Wein aus der Flasche zu trinken. Der samtene Geschmack des roten Barolos breitete sich in meinem Mund aus und bildete einen leckeren Kontrast zu der Schärfe der Kartoffelchips. An Thomas' Schulter gelehnt, dachte ich daran, dass es mir eigentlich gar nicht besser hätte gehen können.
Genauso
stellte ich mir den perfekten Feierabend vor – mit einem guten Wein, leckeren Knabbereien und einem Mann, den es überhaupt nicht stören würde, wenn ich eine oder zwei Hosengrößen zunehmen würde. Und der noch dazu die mit der Gewichtszunahme einhergehende Cellulite nicht abstoßend finden würde, weil er mich nämlich überhaupt nicht erst anziehend finden sollte …
»It has to be you, only you
'cos from the minute that I saw your face you made my dreams come true.«
Verschlafen blinzelte ich gegen das helle Licht des Fernsehers an. Ich musste für einen kurzen Moment eingenickt sein. An meiner Lippe klebten Chipskrümel und es hätte sicher nicht viel gefehlt, bis mir der Sabber aus dem Mund gelaufen wäre. Zumindest dahingehend konnte ich dem kleinen Kasimir Konkurrenz machen.
Im Fernsehen lief mittlerweile eine andere, auf Möchtegern-Unterhaltung getrimmte Fernsehshow. Während irgendein Moderator, den ich mit meinen vom Schlaf getrübten Augen nicht erkannte, sinnloses Zeug zum Thema neunziger Jahre und Groupies daher quatschte, hörte ich im Hintergrund wieder die Melodie, die mich eben offenbar aus dem Schlaf gerissen hatte.
Ich setzte mich auf und konzentrierte mich darauf, meine Augen zu schärfen.
»Na, wieder wach?«, fragte Thomas belustigt.
»Sieht ganz so aus«, antwortete ich überflüssigerweise und erkannte jetzt endlich die Gesichter im Fernsehen. Der Typ, ein schmieriger CKlasse-Moderator, den vermutlich kein ernstzunehmender TV-Sender mehr beschäftigen wollte, befand sich immer noch in seiner Anmoderation und brachte gerade zwei leichtbekleidete, das Gehirn fortgebleichte Ex-Girlgroupmitglieder zum Lachen. Aus dem Off übertönte dankenswerterweise eine tiefe Nachrichtensprecherstimme das alberne Geschnatter der Studiogäste und kommentierte einige Einspieler aus Musikvideos und Konzertmitschnitten der neunziger Jahre – prominent vertreten waren neben Take That und New Kids on the Block auch B.Touched.
Vermutlich war es der Wein, der mich emotional beeinflusste, denn plötzlich durchströmte mich eine Wärme, die direkt aus meinem Herzen zu kommen schien. Mehrere dutzend Gefühle lösten sich aus dem Gebirge meiner Erinnerungen und rollten wie riesige, stürmische Brocken durch meine Gedanken. B.Touched – das war für Isa und mich nicht nur irgendeine Boygroup gewesen, sondern vermutlich sogar der Grundstein unserer Freundschaft. Ich hatte ganz vergessen, wie gefühlvoll und beruhigend ihre Songs auf mich gewirkt hatten … Und wie verdammt gut die Jungs aussahen. Besonders Jamie, der auf schüchtern getrimmte Sunnyboy mit den hellbraunen Augen hatte es mir damals angetan gehabt. Und ich musste zugeben, dass er auch für meine heutigen Ansprüche noch ziemlich gut aussah.
Verdammt gut
. Wieso konnte so einer einem nicht einfach mal im Supermarkt um die Ecke über den Weg laufen?
»Oh bitte. Was sind das nur für grausame Songtexte?«, murmelte Thomas und trank einen großen Schluck Cola aus der Literflasche, die er komplett für sich beansprucht hatte. »Es ist wirklich kein Wunder, dass die Typen von damals heute völlig unbekannt sind.«
»Ach ja? Und was ist bitteschön mit Take That? So schlecht können die ja wohl nicht gewesen sein, wenn sie es nach all den Jahren jetzt wieder in die Riege der Stars geschafft
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