Social Netlove
ich mich fühlte. Also absolvierte ich nur das einminütige Grund-Schminkprogramm, das ich früher oft auf dem Weg zur Schule hinter irgendeinem Busch abgehalten hatte, weil meine Eltern es nicht einsahen, dass ein vierzehnjähriges Mädchen sich schminken wollte – wieder etwas, das sie auf Isa geschoben hatten.
Ich tuschte meine Wimpern mit ein wenig Mascara, umrandete meine hellen blauen Augen mit Kajal, tupfte etwas Rouge auf die Wangen und trug sanftroten Lippenstift auf, der mein Haar auf wundersame Weise zum Leuchten brachte.
Während ich Fox ein paar letzte Streicheleinheiten schenkte und er seinen kleinen Kopf gegen meine Handfläche presste, summte ich gedankenverloren eine Melodie, deren Text wie von selbst aus meinem Mund kam. »It has to be you, only you, 'cos from the minute that I saw your face you made my dreams come true.«
***
Um eine Minute vor sieben schloss ich die Tür zu dem grauen Bürokomplex auf, in dessen dritten Stock unsere Firma ihre Räume gemietet hatte. Es war keines dieser repräsentativen Firmenhäuser, die neuerdings überall aus dem Boden schossen.
Nein
, bei uns glänzte keinMarmorboden und große Fenster waren Mangelware. Der Putz bröckelte bereits von der Fassade und im Treppenhaus müffelte es nach einer undefinierbaren Mischung aus Desinfektionsmittel und aufdringlichem Herrenparfüm. Das einzig Gute an diesem alten Kasten war, dass er im Nachbarviertel und somit nur ein paar U-Bahn-Stationen von meiner Wohnung in Barmbek entfernt lag.
Nachdem ich meine Arbeit eher minder enthusiastisch aufgenommen hatte, langweilte ich mich um kurz nach elf Uhr bereits wieder. Ich hatte das Internet nach Online-Clippings durchstöbert, hatte sie formschön in Abgabebögen übertragen, Quelle, Fundort und -Zeit notiert und eine Grafik eingefügt, an welcher Stelle auf der Internetseite der Artikel platziert gewesen war. Danach hatte ich eine Prognose für die Einnahmen durch zwei potentielle neue Kunden erstellt und saß nun vor einer bunten Tabelle, in der ich unsere Monatskalkulation erfasste. Antriebslos hatte ich die verschiedenen Spalten und Zeilen in einer Art Mosaik eingefärbt und versuchte nun, mit dem Weinkater im Hinterkopf, in den bunten Zellen irgendein bahnbrechendes Muster zu erkennen.
Wie immer, wenn ich mir darüber bewusst wurde, dass mein Tagesgeschäft bereits erfüllt worden war, während meine werten Kollegen demotiviert über ihren Tastaturen vor sich hin vegetierten, stieg Aufbruchsstimmung in mir auf. Erwartungsvoll tippte ich jobs.de im Internet Explorer ein, doch wie so oft wurden fast ausschließlich befristete Jobs angezeigt, deren Vergütung bereits im Fließtext als unangemessen herauszulesen war. Erst nach zwanzig Minuten hatte ich immerhin zwei weniger abschreckende Angebote einer Marketingfirma und eines Steuerbüros gefunden, welche ich an meine private Mailadresse verschickte.
Vielleicht sollte ich dort mal mein Glück versuchen
…
Während das Radio im Hintergrund ‚Listen to your Heart‘ von Roxette abspielte, musste ich mir eingestehen, dass ich mir mit diesen Bewerbungen etwas vormachte. Ich wollte nicht einfach nur raus aus unserer Firma, ich wollte generell weg vom Schreibtisch, weg von Kalkulationen und langweiligen Mittagspausen im Kreise verkalkter Kollegen. Am liebsten hätte ich sofort alles hingeschmissen und mich noch heute bei einer Uni für Mode-Design eingeschrieben – doch da war immer noch das alte Problem, nämlich, dass ich dafür Geld brauchte. Eine ganze Menge davon. Und die Portion Mut, die mir schon nach dem Abitur gefehlt hatte, wäre auch nicht schlecht gewesen.
Ich seufzte und ignorierte Katjas bohrenden Blick, den sie mir überihren Bildschirm hinweg zuwarf. Würde ich in ein paar Jahren genauso verbittert und griesgrämig sein wie meine Kollegin, die bereits seit siebzehn Jahren für unsere Firma arbeitete? Hatte sie nie das Bedürfnis gehabt, etwas anderes zu machen? Etwas mit Anspruch?
Nachdenklich summte ich die Melodie von B.Touched, die mir bereits den ganzen Morgen im Kopf umhergegangen war. Die Jungs hatten es gut – in den Neunzigern hatten sie vermutlich so viel Geld verdient, dass sie nun ein sorgloses, arbeitsfreies Leben führen konnten. Und ihren Traum, hauptberufliche Musiker zu werden, hatten sie sich ja bereits erfüllt. Was wohl aus ihnen geworden war? Machten sie noch immer Musik?
Aus meiner melancholischen Stimmung heraus gab ich den Bandnamen bei Google ein und stieß schnell auf einen
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