Söhne der Erde 02 - Der Rote Kerker
der Vollzugschef beklommen. Und nach einer Pause: »Es sind Frauen und Kinder darunter.«
»Ich weiß es, und ich darf Ihnen versichern, daß es auch mir nicht gefällt. Noch etwas, Jom. Ist die elektronische Überwachung der Urania-Brücke eingeschaltet?«
»Sie arbeitet einwandfrei, Präsident.«
»Gut. Schalten Sie mir bitte die Aufzeichnung herüber.«
Der Monitor erlosch, dafür leuchtete ein anderer in der obersten Reihe auf.
Das Bild flackerte sekundenlang. Wahrscheinlich war das Kommunikations-System überlastet. Man mußte sich darum kümmern, daß die Alarmkommunikation nicht den Empfang des Bildwand-Programms in den Häusern beeinträchtigte. Eine beunruhigte Bevölkerung war das letzte, was sie in dieser Lage gebrauchen konnten. Aber Jessardin wußte, daß die Bürger von Kadnos den Behörden sehr weitgehend vertrauten. Der Chef der Psychologischen Fakultät hielt gerade eine Rede, und der Monitor zeigte leere Transportbänder und ausgestorbene Gleiterbahnen.
Ausgestorben bis auf den gespenstischen Zug, der da am Südende von Gleiterbahn X3 auftauchte.
Rund hundert Menschen.
Sie gingen langsam, als mißtrauten sie dem grauen Einheitsbaustoff unter ihren Füßen. Und sie hielten instinktiv die Formation eines Heereszugs ein: Der Fürst an der Spitze, die Nachhut noch nicht zu sehen, ein Dutzend blondbärtiger, hünenhafter Krieger, die die Flanken sicherten, Frauen und Kinder schützten. Irgendwo in der Mitte taumelte die hohe Gestalt des Oberpriesters, von einem Akolythen gestützt. Conal Nord hatte die Spitze eines Schwerts im Rücken. Jessardin vergrößerte den Bildausschnitt, bis er das Gesicht des Venusiers deutlicher sehen konnte. Aber er stellte fest, daß dieses Gesicht keine Furcht, sondern einen Ausdruck gespannter Faszination zeigte.
Jessardin runzelte die Stirn.
Es würde schwer sein, den Generalgouverneur von den Notwendigkeiten der Stunde zu überzeugen. Nun, Conal Nord mußte mit sich selbst fertig werden. Und mit einer zwanzig Jahre zurückliegenden Erinnerung, wie der Präsident sehr wohl wußte. Sein Blick wanderte zu der blutbesudelten Gestalt an der Spitze des Zugs und versuchte, in dem schmalen, bronzenen Gesicht zu lesen.
Ein Gesicht, das sich der unbekannten Sonne zugewandt hatte. Harte Augen, denen nichts entging. Das Schwert hielt er blank in der Rechten, und Jessardin zweifelte nicht daran, daß er sich damit notfalls auch auf eine Abteilung Vollzugspolizei mit Strahlenwaffen stürzten würde.
Nein, es gab nur eine Entscheidung.
Haß und Gewalt waren eine Krankheit, die schon einmal die Welt zerstört hatte. Und von diesen Barbaren strahlte der alte, kriegerische Geist der Erde gleich einer Aura aus.
Sie mußten vernichtet werden!
*
»Die Urania Brücke«, sagte Conal Nord.
Charru blieb stehen, das Schwert in der Faust, die Augen zusammengekniffen. Neben ihm seufzte Camelo von Landre tief auf. Auch er hatte die Hand am Griff der Waffe, aber er sah die Wunder dieser fremden Welt mit den Augen des Sängers.
Die Brücke war ein Traum aus Silber und Weiß, scheinbar schwerelos, seltsam lebendig mit all den blitzenden Transportbändern.
Auf der anderen Seite des schwarzen, schillernden Kanals senkte sie sich, und die silbrigen Bänder fächerten strahlenförmig auseinander. Charrus Blick folgte dem Kanal: Eine dunkle, grün gesäumte Schlange in der roten Ebene, stehendes Wasser. Weit im Westen wuchsen niedrige weiße Häuser aus einer wogenden Grasfläche. Gebäude, die an diejenigen der Stadt erinnerten und doch grober gefügt waren, als hätten ihre Erbauer keine Zeit gehabt, sich um die Eleganz ihrer Behausungen zu kümmern.
»Die Keimzelle von Kadnos«, sagte Conal Nord versonnen. »Und die Wiege der neuen Zivilisation. Heute stehen die Häuser leer und dienen nur noch als Denkmal.«
»Und was ist das dort?«
Charrus Hand wies auf einen großen, seltsam verschachtelten Komplex aus weißen und grauen Bauelementen. Eine fensterlose, der Stadt zugewandte Mauer war von einem Mosaik in allen Regenbogenfarben überzogen. Schillernde Schönheit, die das Auge blendete - und doch beunruhigend im Kontrast zu dem labyrinthartigen Bau wirkte, der ein Teil der schroffen Felsformationen und der roten Ebene zu sein schien.
»Das Haus des Schlafs.« Conal Nord wandte den Blick ab, denn er dachte ungern an jenen verborgenen, düsteren Ort, wo die notwendige Gewalt im Namen des Gesetzes vollzogen wurde.
»Schlaf?« echote Charru von Mornag.
»Ewiger Schlaf«, präzisierte
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