Söhne der Erde 11 - Die Katakomben von Luna
Widerstandskraft brach, an dem das Bewußtsein die Last einfach abschüttelte und sich mit Gleichmut wappnete. Auch für ihn war dieser Zeitpunkt gekommen. Er konnte nicht mehr grübeln, sich nicht mehr mit hundert Fragen quälen. Und vielleicht war das gut so. Vielleicht konnte er die Entscheidung, die ihm nicht erspart bleiben würde, auf diese Weise sachlicher und nüchterner treffen.
Einen Augenblick blieb er stehen, weil er irgendwo in der Nähe vertraute Stimmen hörte. Gesang: die endlosen Litaneien der Priester. Bar Nergal hatte seine Anhänger versammelt und betete zu den Göttern. Zu Göttern, ohne die er offenbar nicht leben konnte.
Charru fuhr leicht zusammen, als er Dayel in einem der abzweigenden Flure entdeckte.
Auch der junge Akolyth lauschte dem monotonen Singsang. Er war sechzehn, so alt wie Jarlon, aber er begann erst, erwachsen zu werden. Sein schmales Gesicht wirkte bleich im Licht der Schiffsbeleuchtung. Mit der Rechten umklammerte er den Griff des Kurzschwertes, das ihm einer der Tiefland-Krieger geschenkt hatte, als er sich endgültig von den Priestern trennte.
»Sie beten«, flüsterte er. »Sie beten immer noch. Aber zu wem beten sie?«
»Zu einem Götzen, den sie sich selbst geschaffen haben«, sagte Charru ruhig. »Bar Nergal kann nicht ohne die Macht existieren, die er seinen Göttern verdankt hat. Und die anderen haben nur Angst. «
»Ich habe auch Angst«, murmelte der junge Akolyth.
»Glaubst du, ich nicht?«
»Nein! Du nicht, du... «
»Ich habe Angst wie jeder Mensch. Angst vor dem Tod, vor dem, was vielleicht vor uns liegt, vor realen Gefahren. Aber die Priester fürchten Schatten. Sie beten und singen und lassen sich in Trance fallen, um nicht nachdenken zu müssen. Sie verschließen die Augen, weil sie fürchten, den Gefahren zu begegnen. Das ist es, was den Unterschied ausmacht zwischen ihnen und uns. «
Dayels Augen leuchteten auf, weil er spürte, daß dieses »uns« auch ihn einschloß.
» Ja«, sagte er leise. »Und ich bin froh, daß ich nicht mehr zu ihnen gehöre. Ich bin froh, daß ich mich nicht mehr vor Schatten zu fürchten brauche.«
Charru lächelte und legte dem Jungen flüchtig- die Hand auf die Schulter. »Hast du Lara irgendwo gesehen?«
»Sie ist im Lazarett, glaube ich. Soll ich... soll ich versuchen, mit Shamala und den anderen zu reden, Fürst? Damit sie endlich die Wahrheit begreifen. «
Charru sah ihn an. »Sie hassen dich, Dayel, das weißt du. Und in diesem Zustand sind sie unberechenbar. Aber es ist deine eigene Entscheidung. «
Der Junge nickte. Charru ging rasch weiter und ließ sich von einem der Transportschächte nach unten tragen. Das Lazarett, wie Dayel es genannt hatte, war in einem der Frachträume untergebracht. Konan schlief unter der Wirkung einer starken Dosis Morphium. Charru ging nach nebenan, wo sich Lara mit den Medikamenten und Geräten eingerichtet hatte, die ihr Vater ihnen noch im letzten Augenblick vor dem Start besorgt hatte.
Lara verbarg das Gesicht in den Händen.
Als Charru ihre Schulter berührte, zuckte sie zusammen und hob den Kopf. Tränen glitzerten in ihren Augen. Sie versuchte, sie rasch wegzuwischen, aber ihre Finger zitterten dabei.
»Entschuldige«, murmelte sie. »Ich weiß selbst nicht, was mit mir los ist.«
»Warum entschuldigst du dich für das, was du fühlst?« Er stockte und biß sich auf die Lippen. »Bereust du, daß du mit uns gekommen bist?«
»Nein. Ich habe nur an die letzten Tage gedacht. An Mariel, an Helder... Ich habe Angst, Charru. Früher - da bedeutete der Tod nicht viel für mich, weil ich weder wußte, was Liebe noch was Freundschaft war. Und jetzt sitze ich hier und frage mich, wer der nächste ist. Ob das immer so weitergehen wird... «
»Dafür kämpfen wir ja«, sagte Charru leise. »Daß es nicht so weitergeht. Daß wir einen Platz finden, wo wir endlich in Frieden leben können. Wirklich in Frieden - nicht in einer Sklaverei, die schlimmer als der Tod ist.«
»Aber ich könnte es nicht ertragen, dich zu verlieren. Ich könnte es nicht!«
Charru antwortete nicht.
Es gab keine Antwort darauf. Mit einer ruhigen Bewegung griff er nach Laras Schultern und zog sie an sich. Sie zitterte, drängte sich heftig gegen ihn. Er wußte, daß auch für sie der Punkt gekommen war, an dem sie der Belastung nicht mehr standzuhalten vermochte. Aber sie war keine Terranerin. Sie hatte nie gelernt, das Unabwendbare zu akzeptieren, ohne zu verzweifeln.
Lange hielt er sie fest und preßte
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