Söhne der Erde 20 - Durch die Hölle
kraftlos und degeneriert, starb schon lange. Von Sommer zu Sommer hatte es mehr Opfer gegeben. Aber nie waren sie so zahlreich gewesen, nie so schnell gestorben - als sauge die Sonne den letzten Funken Lebenskraft aus ihren Körpern.
»Die Hitze«, murmelte Charilan-Chi nach einem langen Schweigen. »Es ist die Hitze, die sie tötet.«
»Dann hat Ciran die Wahrheit gesagt?«
»Ich weiß nicht ... Ich werde Bar Nergal fragen ...«
»Bar Nergal will eine neue Waffe erproben.«
Der Junge schauerte. Er hieß Cor und war zwölf Jahre alt und das lockige Ebenbild seiner Mutter mit der goldbraunen Haut und den wasserhellen Augen der Rasse, zu der einer ihrer früheren Sklaven gehört hatte. Charilan-Chi wirkte völlig menschlich, obwohl sie dem Katzenvolk entstammte, und nach dem Willen der marsianischen »Götter« waren ihre Kinder von Männern anderer Volksstämme und unterschiedlichen Blutes gezeugt worden. Männer, die getötet wurden, wenn sie ihre Schuldigkeit getan hatten. Nur Yattur, der junge Häuptling des Fischervolks, hatte überlebt - und eine braunhäutige kleine Tochter mit blauschwarzen Locken und goldenen Augen zurückgelassen.
Charilan-Chi furchte die Stirn, als sie an all die Toten dachte.
Für die Götter waren sie gestorben. Aber was, wenn die Fremden von den Sternen recht hatten, wenn es keine Götter gab? Wenn die Silbernen wirklich Marsianer gewesen waren, Menschen eines anderen Planeten, und Bar Nergals Anhänger nur machtgierige Priester?
Eine neue Waffe ...
Wozu, da es doch keine Flugzeuge mehr gab, um Bar Nergals Feinde zu erreichen? Wozu, wenn diese ganze Welt zugrunde gehen würde, weil die Silbernen etwas getan hatten, das Charilan-Chi als todbringende Zauberei erschien? Ciran mußte die Wahrheit gesagt haben. Die Wahrheit war greifbar, fühlbar, pulsierte in der heißen Luft, ließ sich nicht mehr abweisen unter dem nackten perlfarbenen Himmel, von dem die Sonne wie ein zorniges Auge starrte. Charilan-Chi warf das lange goldene Haar zurück und blickte auf den Jungen, dem die silbernen Götter eine Zukunft versprochen hatten und den sie jetzt umbringen wollten, ehe er heranwuchs.
»Geh, Cor! Ich rede mit Bar Nergal. Wir können hier nicht bleiben. Nicht, wenn unser ganzes Volk stirbt.«
Schweigend wandte sich der Junge ab.
Charilan-Chi hatte im Schatten einer Ruine gestanden, aus deren geborstenen Wänden Schutt hervorquoll wie die Eingeweide eines zerfetzten Körpers. Ein Wink brachte das Rattengespann in Bewegung, das den primitiven Karren mit dem fahrbaren Thron zog. Bunte Plastikbänder schmückten den schwankenden Sitz, glitzerndes Metall, farbige Knöpfe - Überbleibsel aus dem Müll der Vergangenheit. Die Königin der Totenstadt lehnte sich zurück, das Gesicht starr im Widerschein der Abendsonne. Noch war sie es, die über die Kriegerinnen und das Rattenheer gebot. Noch besaß sie Macht. Keine Macht, die etwas gegen Götter vermocht hätte, aber wenn es falsche Götter waren ...
Ihre Gedanken stockten, als das rumpelnde Gespann den Rand des Raumhafens erreichte.
Aus zusammengekniffenen Augen starrte sie auf die seltsamen grauen Fahrzeuge, die dort standen, offenbar aus ihrem Versteck in den unterirdischen Gewölben hervorgeholt, um untersucht und erprobt zu werden. Es gab Räume in diesen Gewölben, deren Boden sich bewegte, wenn man Schalter umlegte und Knöpfe drückte. Auf diese Weise hatte der Mann von Mars die Flugzeuge ans Licht geholt, die Lenkgeschosse, auch die Atombombe ...
Der Mann vom Mars war tot.
Bar Nergal hatte ihn foltern lassen, bis er seinen Willen tat, und dann umgebracht, als er ihn nicht mehr brauchte. Die Königin schauerte. Nicht ich, dachte sie. Die Erinnerung ließ sie rasch von dem schwankenden Thron steigen, sich tief verneigen und die demütigen Gesten vollführen, an deren Sinn sie jetzt zweifelte.
Cirans Worte waren es gewesen, die den Zweifel geweckt hatten.
Der Tod ihrer Söhne, das Sterben ihrer Kriegerinnen, das sich nicht wegleugnen ließ und gegen das die »Götter« machtlos waren. Ein Gott mochte vernichten oder retten - auf jeden Fall mußte er zu beidem die Macht haben. Aber Bar Nergal hatte weder seine Feinde vernichten können noch vermochte er seine Untertanen zu retten.
Und jetzt eine neue Waffe!
Plumpe, massige Fahrzeuge, die auf schweren Ketten rollten, stählerne Kuppeln mit winzigen Sichtluken und schwarze, drohend ins Nichts zielende Rohre. Die Königin erkannte die Gestalt des Priesters mit dem Namen Shamala
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