Söhne der Rosen - Das geheimnisvolle Tattoo (Gay Phantasy) (German Edition)
wenig verfallen wirkte, erblühte nun in strahlender Vollkommenheit. Die Möbel – die mir vertrauten und die hinzugekommenen – glänzten wie neu, die Farben der Tapeten und des Teppichs strahlten, und die plötzlich vorhandenen feingewebten Gardinen blähten sich in der leichten Brise. Selbst der Geruch in dem Zimmer war ein anderer.
Gerade wollte ich mich aufsetzen, in meiner frisch gewonnenen inneren Ruhe nun doch irritiert, als Alain mich zurückhielt, vorsichtig, aber bestimmend.
„Die Zeit, deine Tätowierung, das Zimmer – was geschieht hier?“
„Nichts, was dir Angst machen müsste. Klar, es ist alles neu für dich und wir Menschen tendieren dazu, alles Neue erst einmal zu fürchten. Das ist okay. Ansonsten würde manch verzweifelte Seele bestimmt den Tod und alles folgende Unbekannte dem Leben vorziehen. Und ich weiß, wovon ich rede.“
„Ich fürchte mich tatsächlich ein wenig, auch wenn das alles hier nur ein Traum sein sollte.“
„Es ist kein Traum und ich bin ja bei dir“, antwortete er in einem fast hypnotischen Tonfall. „Aber schau, das alles haben wir zusammen erschaffen. Wir haben dem Raum und dem Tattoo neues Leben eingehaucht. Wir haben ein Kunstwerk erschaffen, wie wir es vor einer Woche mit dem Laken getan haben. Freust du dich denn wenigstens ein bisschen?“
Sein erwartungsvoller, fast kindlich naiver Ausdruck in seinem Gesicht brachte mich wahrhaftig zum Schmunzeln.
„Ja, ich freue mich. Ich bin froh, dass wir beide zusammen sind. Aber ich habe noch eine Menge Fragen.“
„Was hältst du davon, wenn ich sie dir bei einem ordentlichen Frühstück beantworte?“
42
Zum ersten Mal, seit ich Alain kennen gelernt hatte, betrat ich die Küche, in der er so häufig verschwunden war, um Eistee zu holen. Sie war verhältnismäßig groß, da das Personal, das früher einmal in der Villa tätig gewesen war, dort wohl seine Mahlzeiten eingenommen hatte. Dadurch beherbergte der Raum neben den alten Keramik- und Kanonenöfen, den Arbeitsplatten mit stellenweise abgeplatzten Beschichtungen, den zahlreichen schiefen Regalen, verstaubten Hänge- und Bodenschränken auch eine spartanische Essecke für ungefähr acht Personen. Viele der zerbeulten Pfannen und Töpfe sahen genau wie die reich verzierten Gewürzdöschen so aus, als seien sie seit langer Zeit nicht mehr benutzt worden. Beinahe hatte ich den Eindruck, als befände ich mich in einem Museum, das lieblos und doch stilvoll Ausstellungsstücke des vorigen Jahrhunderts bis hin zu den sechziger Jahren präsentierte.
Alain war ganz aufgedreht und stürmte freudig zum Kühlschrank.
„Setz dich, Julian. Wie wäre es mit Toast, Marmelade, Eiern und Schinken?“
„Das klingt verlockend. Ich habe Hunger wie ein Bär.“
„Ich weiß. Trinkst du lieber Kaffee, Tee oder Orangensaft dazu?“
„Kaffee, in rauen Mengen. Brauchst du Hilfe?“
„Das ist lieb von dir, aber ich komme schon klar.“
Und er hatte nicht übertrieben. Routiniert bereitete er das Gewünschte in unglaublicher Geschwindigkeit zu, summte dabei Lollipop von den Chordettes vor sich hin und bewegte sich dazu tänzerisch in seiner anmutigen Art. Es war schon ein merkwürdiges Gefühl, ihm dabei zuzusehen, allein, da wir die gleichen Sachen trugen; fast so, als sähe man sich selbst in einem Spiegel. Der Duft des brutzelnden Schinkens und des frischen Toasts, den er interessanterweise auf dem Gitter des Kanonenofens röstete, lenkte meine Gedanken in eine andere Richtung. Zwischendurch holte er Geschirr, küsste mich, rieb seine Nase kurz an meiner – Eskimokuss hat meine Mum das immer genannt – und deckte den langen Tisch. Ehe ich es richtig bemerkt hatte, saßen wir gemeinsam vor einem üppigen Frühstück.
„Wie hast du das so schnell geschafft?“
Alain steckte den ersten Bissen Schinken in den Mund und kaute genüsslich grinsend darauf herum.
„Schon vergessen? Wir sind keine Untergebenen der Zeit mehr, sie dient jetzt uns. Das ist einer der Vorteile hier.“
„Und was sind die Nachteile?“
Sein Gesicht wurde ein wenig ernster.
„Na ja, wie ich schon gesagt habe, wir können das Grundstück nicht mehr verlassen.“
„Wer sind wir ? Oder was?“
„Alles weiß ich auch nicht. Aber wir sind keine Menschen mehr. Obwohl der Mensch ein Teil der Natur ist, ist er in einen ständigen Kampf mit ihr verstrickt. Wir nicht. Wir sind zu etwas geworden, das lange zurückliegt, oder das es noch nie gegeben hat, ich bin mir nicht sicher.
Weitere Kostenlose Bücher