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Söhne und siechende Seelen

Söhne und siechende Seelen

Titel: Söhne und siechende Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alper Canıgüz
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Ich hatte Verständnis für Rebi Abis Schmerz. Aber selbst wenn Ertan wirklich der Täter war, so wollte es mir dennoch nicht in den Kopf, wie es das Gerechtigkeitsempfinden befriedigen konnte, wenn man einen armen Typen zermalmte. Würde ich denn auf dieser Welt kein Menschenkind treffen, das imstande war, die Spreu vom Weizen zu trennen?
    »Vielleicht hat man ihn auch benutzt«, sagte Rebi Abi und kniff argwöhnisch die Augen zusammen.
    Aber natürlich! Die Griechen! »Ihn zu benutzen dürfte etwas schwierig sein«, konnte ich mich nicht mehr bremsen. »Wenn ich jemandem die Gurgel durchschneiden lassen wollte, würde ich mir offen gestanden keinen Geisteskranken als Täter aussuchen. Ich meine – wie will man ihm denn ein Ziel setzen? Er wüsste nicht einmal, wer Hicabi Bey ist, und wenn man ihn fragte, wo die Gurgel sitzt, würde er einem seinen Hintern zeigen.«
    Rebi Abi schluckte, dann sagte er »Gurgel« und fing schluchzend an zu weinen. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich das erwartet. Ich hatte den Ausdruck bewusst zwei Mal verwendet, damit er ein wenig die Fassung wiedergewann.
    Wie aus dem Nichts tauchte meine Mutter auf und reichte Rebi Abi gerade noch rechtzeitig ein Papiertaschentuch, damit er nicht den Fußboden vollrotzte. Nachdem er seine Körpersäfte in das Taschentuch geschnäuzt hatte, stand er auf, wobei er den Stuhl umwarf. »Ach, Entschuldigung. Ich sollte mich langsam auf den Weg machen. Ich bin ja gekommen, um zu sehen, wie es dem Jungen geht. Jetzt habe ich Ihnen zu so später Stunde noch Kummer bereitet.«
    Ich wendete meinen Blick ab. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn in diese Lage gebracht hatte. Ich sagte ja bereits, ich bin ein Kotzbrocken, genau wie die anderen Kinder.
    Mein Vater hakte Rebi Abi unter. »Ach, nicht der Rede wert. Bleib noch ein bisschen. Trink wenigstens deinen Mokka.«
    »Nein, nein, ich gehe besser.«
    »Wo wirst du wohnen?«
    Rebi Abi zog die Nase hoch. »Ich werde mir ein Zimmer suchen.«
    »Kommt Şemi auch?«
    »Ich glaube, er wird drüben auf der europäischen Seite in einem Offizierskasino unterkommen.«
    »Dann solltest du in deinem Zustand nicht allein sein«, meinte mein Vater. »Bleib heute Nacht hier. Wir machen dir den Diwan im Kinderzimmer fertig.« Da würde mir wohl nichts anderes übrig bleiben, als ihn die ganze Nacht zum Heulen zu bringen und ihn so seinem Vater hinterherzuschicken.
    Als meine Mutter in das Drängen meines Vaters einfiel, willigte Rebi Abi ein, bei uns zu übernachten. Danach sprachen wir nicht mehr viel. Meine Mutter gab Rebi Abi einen der von tausendmaligem Waschen vollkommen ausgeleierten Jogginganzüge meines Vaters. Zu vorgerückter Stunde sahen wir uns auf Vorschlag meines Vaters zur Ablenkung alle gemeinsam im Fernsehen einen Film an. Doch nach einer Weile, so ein Malheur, stellte sich heraus, dass es sich dabei um einen Krimi handelte. Die tapfere New Yorker Polizei bemühte sich, einen irren Serienmörder zu schnappen. Es wimmelte nur so von gebrochenen Knochen, zerhackten Körpern und abgerissenen Köpfen, und in jeder Szene floss das Blut in Strömen. Obendrein schien es, als hätte der Regisseur mit diesem Film den Beweis antreten wollen für die These: »Der Mensch stirbt nicht leicht.« Die Morde wurden ausführlich gezeigt, ohne auch nur das geringste Detail des Gräuels auszulassen. Sollte beispielsweise der Mörder mit einem Messingleuchter einen Schädel zertrümmern, schlug er zu, was das Zeug hielt, und bearbeitete das Opfer viereinhalb Minuten. Voller Sorge wartete ich auf den Moment, in dem unser gequälter Gast einen Nervenzusammenbruch erleiden würde. Zum Glück blieb dieser Moment aus. Rebi Abi schien von dem Film ziemlich gefesselt zu sein. Anscheinend hatten meine Worte ihn irgendwie immun gemacht. Er verfolgte nicht nur äußerst kaltblütig all die Abschlachtszenen, sondern fing nach einer Weile sogar an, Theorien bezüglich der Identität des Mörders aufzustellen. Dabei vertrat er die These, dass es sich bei dem Täter um den griechischen Reeder handelte. Der Witz an der Geschichte war, dass er recht behielt.
    Als meine Mutter verkündete, dass wir ins Bett gehen könnten, nachdem wir uns Gesicht, Hände und Füße gewaschen hätten, eröffnete ich meinem Vater: »Ich möchte morgen mit zu dir ins Büro kommen.«
    »Okay«, sagte mein Vater. »Ich werde mir allerdings kein Bein ausreißen, falls du nicht aus dem Bett kommst, damit du Bescheid weißt.«
    »Abgemacht«, gab ich

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