Söhne und siechende Seelen
zurück.
Als ich meine Angelegenheiten im Bad erledigt hatte und in mein Zimmer kam, hatte Rebi Abi sich bereits hingelegt. Seine Beine hingen über den Diwan hinaus. Zu gern hätte ich sein Herz, das ich verletzt hatte, wieder repariert, aber ich wusste nicht recht, wie. Behutsam trat ich ans Fenster und sah hinaus. Außer der Vogelscheiße auf dem Fenstersims konnte nichts meine Aufmerksamkeit wecken. Gott war wieder weit und breit nicht zu sehen. Mir blieb also nichts anderes übrig, als bis zur kommenden Nacht zu warten. Ich schlug die Bettdecke zurück und legte mich hin. Ich war kurz davor, einzuschlafen, als ich eine Stimme hörte. »Ich weiß, die meisten hassen mich und meine Familie.«
Diese Worte verblüfften und ängstigten mich zugleich. Ohne zu antworteten, schob ich vorsichtshalber die Gardinen auseinander und warf noch einmal einen kontrollierenden Blick nach draußen. Gott war es nicht. Es musste Rebi Abi gewesen sein. »Es gibt auf der Welt einen Haufen unfreundliche Menschen«, sagte ich, um ihn zu trösten. Nach dem Spruch war ich felsenfest davon überzeugt, dass nie etwas Gescheites aus mir werden würde, denn eigentlich hatte ich ihn trösten wollen. »Außerdem finde ich, dass Hicabi Amca ein netter Mann war«, fügte ich hinzu, um zu retten, was noch zu retten war.
Es war nicht zu überhören, dass ich diese letzten Worte ohne Überzeugung ausgesprochen hatte, doch der arme Trottel hatte wie so viele Menschen an das geglaubt, was er gern hören wollte. »Das finde ich auch. Viele haben das nicht gewusst, aber er hat ein sehr weiches Herz.«
»Hatte«, korrigierte ich. Ich hätte mir besser auf die Zunge gebissen.
War ja klar, dass er wieder zu weinen anfing. Nachdem er sich ein wenig beruhigt hatte, blickte er zur Decke und murmelte: »Er kümmerte sich nicht nur wie ein Vater um uns, sondern auch um arme Kerle, die das Schicksal in die Straffälligkeit trieb. Er gab ihnen zu essen, steckte ihnen ein bisschen Geld zu, ja manche brachte er sogar mit nach Hause, bis sie Arbeit und einen Platz zum Wohnen gefunden hatten. Wer weiß, wie viele junge Leute er auf diese Weise wieder in die Gesellschaft integriert hat.«
Das hat er sicher alles nur erfunden, dachte ich. »Da hat er sich in der Tat sehr edel verhalten.«
»Er ist jetzt an einem besseren Ort.«
Ich analysierte seine Behauptung mit dem Wunsch, ihm wenigstens einmal zuzustimmen. Nirgendwo könnte man durchaus auch als ein Irgendwo betrachten. »Ja«, sagte ich. Ich war todmüde. Müdigkeit hat auf mich einen ähnlichen Effekt wie Trunkenheit. »Die Russellsche Antinomie zeigt uns eindeutig, dass Alles im Nichts enthalten ist.« Ich weiß nicht – bin ich sehr gefühllos?
»Wie bitte? Das habe ich nicht verstanden.«
Diese Unterhaltung würde offensichtlich zu nichts führen. »Schon in Ordnung, Rebi Abi. Du hast ja recht. Ich bin mir sicher, dein Vater hätte nicht gewollt, dass du so traurig bist. Weder du noch Şemi Abi noch … der Krämer Yakup.« Eigentlich war ich mir nicht sicher, ob Yakup wirklich traurig war, aber mir fiel einfach kein anderer Bekannter Hicabi Beys ein.
»Ja echt. Yakup Abi ist bestimmt auch am Boden zerstört.«
Ich musste still sein, bevor mir noch mehr plumpes Zeug herausrutschte. »Du bist sehr müde, Rebi Abi. Versuch ein bisschen zu schlafen.«
»Ich werde kaum schlafen können, aber dir gute Nacht«, sagte er. Fünf Minuten später schnarchte er. Dabei machte er einen solchen Krach, dass ich einige Male an seinem Kissen ziehen musste, bis ich endlich selbst in die Arme des Bruders des Todes sinken konnte.
In aller Herrgottsfrühe erwachte ich vom Knuffen meines Vaters. Mir ging durch den Kopf, ihm zu sagen, er solle mich in Frieden lassen, aber ich beließ es bei einem Heben meiner Hand. Nachdem er weg war, blieb ich noch eine Weile mit geschlossenen Augen liegen. Dann atmete ich tief ein und setzte mich energisch im Bett auf. Rebi Abi, der sich ziemlich zusammengefaltet hatte, um auf den Diwan zu passen, schlief mit offenem Mund. Ich stand auf und ging ins Bad. Ich hielt mein Gesicht unter das eiskalte Wasser und wusch meine verkrusteten Augen- und Mundwinkel. Der Teufel war in dieser Nacht offenbar recht fleißig gewesen. In der Hoffnung, die für den heutigen Tag notwendige positive Energie zu gewinnen, nahm ich im Gegensatz zu sonst ein kräftiges Frühstück zu mir. Ich zog mir etwas Ordentliches an und putzte mir die Zähne. Ich kämmte mich sogar. Ein winziges Flämmchen voller
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