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Söhne und siechende Seelen

Söhne und siechende Seelen

Titel: Söhne und siechende Seelen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alper Canıgüz
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und einem das Gesicht ableckt.«
    »Wo hast du das gelernt?«
    »Das hat uns die Lehrerin gesagt«, erwiderte er großspurig.
    »Deine Lehrerin weiß das nicht richtig«, sagte ich. »Nachts kommt wirklich der Teufel, aber er leckt nicht dein Gesicht, sondern deinen Pimmel.«
    »Echt?« Unwillkürlich fuhr seine Hand an seinen Hosenlatz. So ein Einfaltspinsel. Er glaubte alles, was ich ihm sagte.
    »Klar, Mann. Spürst du nicht manchmal abends an deinem Ding ein furchtbares Kitzeln?«
    »Doch, doch … Kommt schon vor.«
    »Na siehst du, sei dir gewiss, dass dann der Teufel in Aktion ist. Du musst sofort aufstehen und deinen Zipfel unter eiskaltes Wasser halten.«
    Er seufzte verdrossen. Offensichtlich kratzte der Spezi sich gern, wenn es kitzelte. In dem Moment kam seine Mutter mit einem Tablett herein. Der Duft von Börek ließ einem das Wasser im Mund zusammenlaufen. Sie stellte mir einen Teller hin, in den ich mich sogleich vertiefte. »Vielen Dank, Nermin Teyze. Ist super geworden.«
    »Lass es dir schmecken, Junge. Wie läuft es mit Hakan, liest er schön?«
    »Sehr schön«, antwortete ich. »Er hat auch eine Menge anderer nützlicher Dinge in der Schule gelernt.«
    Ach, wie erhellte sich da ihre Miene, ich kann es nicht beschreiben! »Keine Sorge. Nächstes Jahr lernst du das alles auch.«
    »Ja.«
    »Ein schlauer Junge wie du lernt noch viel mehr, vor allem …«
    »Ich sagte doch ja«, schrie ich und schlug dabei mit dem Griff des Messers auf den Tisch. Stimmt, die Reaktion war vielleicht ein wenig übertrieben. Aber es funktionierte. Sie schwieg und verließ mit einem ängstlichen Blick das Zimmer.
    »Wenn ich meine Hausaufgaben nicht fertig kriege, lässt mich meine Mutter heute Abend nicht raus zum Spielen«, meinte Hakan betrübt; seinen Börek hatte er noch nicht angerührt.
    »Du weißt doch, heute Abend spielen wir gegen die Yaprak-Straße.«
    Hakan war Torwart des Fußball-Stadtteilvereins. Und er war ziemlich gut. »Gib mal das Buch her«, meinte ich. »Aber ich sag’s dir noch mal, ich kann das nicht.«
    »Besser als ich machst du es allemal«, erwiderte Hakan erfreut.
    »Ich habe dich jedenfalls gewarnt.« Ich schnappte mir einen Bleistift und begann, wahllos den Text zu zerhacken. Es amüsierte mich, wie interessiert Hakan mir zusah, obwohl er keinen blassen Schimmer hatte, was ich da tat. Ich musste lachen. An jenem Tag lachte ich zum ersten Mal. Ich legte meinen Arm um seinen Hals und drückte ihn. »Na, Bruder.«
    »Was ist denn?«, fragte er und grinste blöd.
    »Nichts. Kümmern wir uns um den Kram hier.«
    Nachdem ich Hakans Wohnung verlassen hatte, bewegte ich mich in Richtung des Wohnhauses Güzelyayla. Aus der Erdgeschosswohnung Nummer vier ertönte wie immer brüllend laute Musik, die eher an Maschinengewehrfeuer als an Gitarrenmusik erinnerte. Die Mieter waren zwei langhaarige junge Typen mit Ohrringen, die sich in Anlehnung an den Altrocker Erkin Koray Erkin und Koray nannten. Angeblich lebten sie zu zweit, doch wohnten in der Wohnung, und ich zitiere meine Mutter, »eine Horde von Strolchen, Männlein und Weiblein, die weiß der Kuckuck woher kommen«. Diese Typen lagen permanent im Clinch mit ihren Nachbarn. Die Beschwerden betrafen anscheinend den Krach, aber wenn man mich fragt, bestand die eigentliche Sorge der Nachbarn darin, dass sie glaubten, die jungen Leute hätten Spaß am Leben. Weit gefehlt, wenn man mich fragt. Ich habe Erkin und Koray oft beobachtet, wenn sie auf der Straße gingen oder im Laden Cola tranken. Sie redeten ständig und brachen beinahe nach jedem Wort in Gelächter aus, meist nach ihren eigenen Worten, versteht sich. Ich glaube nicht, dass sie einander oder sonst irgendetwas wirklich zu verstehen versuchten. Sie lachten einfach blöd daher. So verhalten sich Leute, die sich stets über das definieren, was sie ausgrenzen. Für sie ist Gelächter eine Art Droge, eine Art Krach, der verhindert, dass sie das Schweigen hören, das stets unterschwellig vorhanden ist. Lachen schützt sie davor, sich mit dem Leben auseinanderzusetzen. Was ich damit sagen will, ist: Sie sind halt verwirrte, verlorene Typen. Ich setzte ehrlich gesagt keinerlei Hoffnung auf sie. Sie würden einige Jahre über allen möglichen Mist lachen und denken, wie anders sie doch wären, und dann ein schäbiges, kleinbürgerliches Leben beginnen – immer noch in dem Glauben, sie wären »eigentlich« anders.
    Wie erwartet entdeckte ich Celal den Hänfling und Cemalettin im Garten hinter dem

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