Söldnerehre (German Edition)
im Wasser.
»Bogenschützen nach vorn!«, schrie Faris Lenard.
Auf der Ostmauer waren gerade einmal fünfhundert Bogenschützen stationiert. Nicht einmal annähernd genug, um diese Flut wirkungsvoll auszudünnen. Lyra realisierte das auf den ersten Blick.
»Macht euch bereit!«, schrie sie über den Kampflärm hinweg. »Schwertkämpfer und Pikeniere in die zweite Reihe!«
Die Moyri ließen einfache Boote zu Wasser. Dabei handelte es sich schlicht um halbierte Baumstämme, die man ausgehöhlt hatte. Diese Boote waren nicht gerade hochseetauglich, doch das brauchten sie auch nicht sein. Sie mussten lediglich etwa hundert Meter Wasser überqueren.
Die Bogenschützen der Verteidiger feuerten eine weitere Salve auf die Angreifer ab. Ungefähr ein Dutzend Boote kenterte, als ihre Insassen von Pfeilen gespickt in den Fluss stürzten. Doch immer mehr kamen nach.
Die Moyri erwiderten mit Bogen und Armbrüsten das Feuer. Lyra erlitt eine Fleischwunde, als ein Armbrustbolzen ihre linke Schulter streifte. Doch dieser Streifschuss reichte völlig, um ihr höllische Schmerzen zu bereiten. Darüber hinaus blutete die Wunde recht stark.
Jonas eilte zu ihr, riss sich einen Streifen Stoff aus dem Hemd und verband notdürftig ihre Schulter. »Das wird vorläufig reichen«, kommentierte er seine Arbeit.
»Danke.«
Die Moyri erreichten die Mitte des Flusses und stießen dabei auf Graf Eskarlions Überraschung. Knapp unter der Wasseroberfläche lauerten angespitzte Pfähle auf die Boote der Moyri. Die Pfähle durchstießen die Rümpfe der Moyri-Boote ohne nennenswerten Widerstand oder brachten sie schlicht zum Kentern. Die Felle, aus denen die Moyri den Großteil ihrer Kleidung fertigten, sogen sich innerhalb kürzester Zeit mit Wasser voll und zogen Hunderte der um sich strampelnden Krieger in die Tiefe.
Doch der Überraschungseffekt war nun vergangen. Die nachfolgenden Boote erkannten die Gefahr, verlangsamten ihre Geschwindigkeit und Axtkämpfer am Bug hackten die Pfähle entzwei, sodass sie ihren Vormarsch ungehindert fortführen konnten.
Metallisches Scheppern lenkte Lyras Aufmerksamkeit auf die Geschehnisse an der Brüstung. Die Moyri benutzten ihre schweren Armbrüste, um Enterhaken, an denen Seile befestigt waren, über die Brüstung zu schießen. Sofort stürmten Schwertkämpfer vor, um die Taue zu kappen. Allzu oft wurden sie jedoch ein Opfer feindlicher Schützen.
Einige Seile rissen unter den unbarmherzigen Schlägen von Varis-Soldaten und Milizionären. Die Moyri, die an ihnen emporgeklettert waren, stürzten schreiend in einen nassen Tod.
Doch Lyra erkannte, dass all ihre Bemühungen nur Tropfen auf den heißen Stein waren. Früher oder später würden die Moyri den Wall erklimmen.
Jonas zog zischend sein Schwert aus der Scheide. Der jugendliche Schwertkämpfer stockte mitten in der Bewegung.
»Was machst du denn hier?«
Lyra drehte sich verwirrt um, um nachzusehen, was Jonas so aus der Fassung brachte – und sah sich unvermittelt Miriam gegenüber. Das Mädchen war in eine zweckmäßige, doch edle Rüstung gekleidet und hielt ein Schwert in der Hand. Feldwebel Marek stand hinter ihr, einen schuldbewussten Ausdruck auf dem Gesicht.
»Du gehst sofort wieder in die Zitadelle!«, fuhr Lyra die Prinzessin ungehalten an.
Diese schüttelte entschlossen den Kopf. »Ich bleibe.«
»Du gehst!«, beharrte Lyra und wandte sich dem Feldwebel zu. »Was hast du dir nur dabei gedacht? Du sollst auf sie aufpassen und nicht sie in Gefahr bringen.«
Der Mann zuckte die Achseln. »Sie hat darauf bestanden.«
Miriam packte Lyra fest am Arm. »Ihn trifft überhaupt keine Schuld. Es war allein meine Idee. Ich musste ihm befehlen, mich hierher gehen zu lassen.«
»Was hast du dir nur dabei gedacht?«, wiederholte Lyra flüsternd.
»Ich habe es satt, mich hinter anderen zu verstecken. Es sind bereits so viele gestorben. Nur meinetwegen. Ich kann das nicht mehr. Wenn ich Königin werden will, dann muss ich die gleichen Gefahren ertragen wie mein Volk. Es geht nicht anders, Lyra. Verstehst du das nicht? Ich werde von niemandem mehr etwas verlangen, das ich nicht selbst gewillt bin einzugehen.«
Lyra musterte ihren ehemaligen Schützling plötzlich mit neuen Augen. Aus dem Mädchen war eine selbstbewusste junge Frau geworden, eine Königin, die es wert war, ihr zu dienen. Lyra nickte, zwar immer noch sehr unglücklich über Miriams Entscheidung, doch nicht in der Lage, es ihr auszureden. Und ehrlich gesagt wollte sie das auch
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