Söldnerehre (German Edition)
nicht ab. Sobald sie einen Moyri töteten, wurde er augenblicklich von drei neuen ersetzt, und ein Ende kam nicht in Sicht.
Erschöpfung machte sich unter den Verteidigern von Erys breit. Sie kämpften nur noch lethargisch, agierten wie Maschinen. Und genau diese Absicht steckte auch hinter der Taktik ihrer Gegner. Man wollte sie zermürben.
Die Wunde in ihrer linken Schulter brannte höllisch. Jonas’ provisorischer Verband war inzwischen blutgetränkt.
Trotzdem kämpfte sie weiter. Es musste einfach sein.
Für Erys. Und für Miriam.
* * *
Kilian war nahe daran, in Verzweiflung auszubrechen. Jeder Knochen in seinem Körper schmerzte. Die Sonne stand bereits tief am Horizont. Das Abendrot färbte den Himmel ebenso rot, wie das Blut die Wehrgänge Erys’. Jede andere Streitmacht wäre unter solch katastrophalen Verlusten längst zerbrochen, doch die Moyri stürmten einfach weiter an, nur um von den Schwertern der Verteidiger empfangen zu werden.
Es wurden Fackeln ausgegeben, da es bereits so dunkel war, dass man kaum ein paar Meter weit sehen konnte. Die Gefahr war zu groß, dass man im Getümmel vielleicht einen Freund niederschlug.
Eine einheitliche Taktik gab es längst auf beiden Seiten nicht mehr. Jede Seite war lediglich daran interessiert, über die jeweils andere zu triumphieren. Den Moyri war nur daran gelegen, die Verteidigung zu durchbrechen, während die Varis alles taten, um ebendies zu verhindern.
Kilian schlug einem Moyri mit einem einzigen Hieb den Kopf ab, als er etwas vernahm, das er im ersten Moment nicht einzuordnen imstande war. Bei näherer Betrachtung allerdings erwies es sich als Hornsignal. Und es kam direkt von Coyle Polloks Feldherrenhügel.
Die Moyri zögerten – wandten sich um und kletterten die Leitern hinunter, die sie erst Stunden zuvor so mühsam erklommen hatten. Sie zogen sich tatsächlich zurück! Den ersten Tag der Belagerung hatten sie überstanden.
Kilian lehnte sein blutiges Schwert gegen die Brüstung und stützte sich mit beiden Händen erschöpft auf die Zinnen. Entlang der ganzen Mauer sanken die Männer nieder oder brachen vor Erschöpfung einfach an Ort und Stelle zusammen. Einige Bogenschützen schickten den fliehenden Moyri noch vereinzelte Pfeile hinterher. Es war jedoch nicht erkennbar, ob sie etwas trafen.
Logan gesellte sich zu ihm, ein spöttisches Lächeln auf dem mit Blutspritzern verunstalteten Gesicht, das so gar nicht der Situation angemessen erschien.
»Mann, siehst du scheiße aus!«
Kilian lachte laut auf. »Das musst du gerade sagen.«
Der Söldneranführer sah den fliehenden Moyri hinterher, wie sie die Sicherheit des eigenen Lagers erreichten.
»Was für ein Tag!«, flüsterte er plötzlich ernst.
Logan nickte. »Wenn du diesen Tag schon für schlimm hältst, dann warte mal auf die nächsten. Das heute war noch gar nichts.«
20
Logans Vorhersage erwies sich leider als richtig.
Mit der aufgehenden Sonne begann der Tanz von Neuem. Die Moyri stürmten gegen die Wälle an wie stürmische See gegen eine Steilküste. Die Verteidiger leisteten erbitterten Widerstand und die Zahl der Opfer auf beiden Seiten stieg mit jeder Minute, die verging. Es wurde ohne Unterbrechung bis zum Sonnenuntergang gekämpft. Bis sich die Moyri erneut in ihr Lager zurückzogen. Dasselbe wiederholte sich auch an den folgenden Tagen der Belagerung.
Die Moyri zermürbten die Belagerten Stück für Stück. Jeder Angriff wurde von einem heftigen Bombardement der feindlichen Katapulte begleitet. Einem Bombardement, dem selbst die starken Mauern von Erys nicht ewig standzuhalten vermochten. Am Ende des dritten Tages war beinahe die Hälfte der Türme in der äußeren Mauer zerstört. Dadurch schufen die Moyri gefährliche Lücken in der Verteidigung des Walls, die sie gekonnt ausnutzten, indem sie mit ihren Leitern dort ansetzten. Sie wieder von den Wällen zu vertreiben, stellte eine schweißtreibende und blutige Angelegenheit dar.
Am vierten Tag verloren sie Vekal auf der Ostmauer. Der Messerkämpfer wurde von den anderen Verteidigern getrennt und fand sich plötzlich mit dem Rücken zur Wand wieder, umzingelt von etwa einem Dutzend feindlicher Krieger. Seine Reaktion bestand darin anzugreifen, in dem Versuch, sich aus der Umklammerung des Feindes zu befreien. Als dies nicht gelang, stürzte er sich todesmutig – ohne Rücksicht auf sein eigenes Leben – auf einige Gegner und riss drei Moyri mit sich über die Brüstung in die Tiefe.
Weitere Kostenlose Bücher