Söldnerehre (German Edition)
Königreich Varis?«, höhnte Karok. »Existiert es denn noch?«
Wütendes Gemurmel brandete unter den Varis-Soldaten auf. Einige der Bogenschützen legten Pfeile auf ihre Sehnen und machten sich schussbereit, doch ein entschiedener Wink von Cadros Bal brachte schnell Ruhe in ihre Reihen. »Sieh doch hin oder bist du blind? Wir halten diese Abtei im Namen des Königreichs. Komm nur her und ich zeige dir, dass das Königreich noch existiert, und zwar auf der Spitze meines Schwertes.«
»Große Worte von einem kleinen Mann.«
»Sag mir, Karok Bula, wenn wir dir die Tore öffnen, wirst du die Menschen hier verschonen?«
»Mein Wort darauf.«
»Alle?«
»Ich sage doch, mein Wort darauf.«
»Ich habe schon mehrere Städte durch die Moyri fallen sehen und Gnade gehört nicht zu euren starken Seiten.«
»Diese Städte, von denen du sprichst, haben gekämpft und verloren. Und dem Sieger gebührt die Beute. Ergebt euch und ihr werdet leben.«
»Und die Frauen?«
Der Moyri-Anführer stutzte, zum ersten Mal leicht irritiert. »Was soll mit ihnen sein?«
»Werden sie auch verschont?«
»Was bezweckst du mit deinen Fragen, Cadros Bal?«
Kilian schüttelte leicht den Kopf. Das war die falsche Antwort. Der Moyri war der Frage ausgewichen. Es war genau die Art Antwort gewesen, auf die Cadros Bal es von Anfang an abgesehen hatte. Kilian verspürte ein Aufwallen von Hochachtung angesichts der Raffinesse des Hauptmanns. Es war sein Plan, den Moyri-Offizier zu einer eindeutigen Aussage zu provozieren, was das Schicksal der Zivilisten anging, um den Widerstandswillen der Verteidiger anzufeuern. Es war ein guter Plan. Und er funktionierte.
Erneut erhob sich leises Gemurmel, jedoch hauptsächlich von den versammelten einfachen Leuten, die Frauen und Töchter innerhalb des alten Gemäuers hatten. Auch ihnen war der Wandel des Gesprächs nicht entgangen, genauso wenig wie der Umstand, dass der Moyri die Frage nicht beantwortet hatte.
»Also?«, hakte Cadros Bal nach. »Was wird aus den Frauen?«
»Sie bleiben am Leben. Reicht das nicht?«
»Nein, das reicht nicht!«, spie der Varis-Hauptmann ihm nun förmlich entgegen. »Denkst du, wir gehen frohen Herzens in Gefangenschaft, während unsere Frauen und Töchter bei deinem dreckigen Lumpenpack liegen sollen?«
Selbst auf diese Entfernung sah Kilian das Gesicht des Moyri dunkelrot anlaufen. Gleichzeitig brandete Gelächter auf den Wehrgängen auf.
Nicht übel, Cadros Bal. Nicht übel.
Der Hauptmann hatte mit einem Schlag nicht nur die eigene Kampfmoral gestärkt, indem er jedem vor Augen führte, was im Falle einer Niederlage mit den Frauen geschehen würde, er hatte gleichzeitig auch den feindlichen Anführer verhöhnt und gedemütigt. Nicht nur vor den Verteidigern, sondern auch vor dessen eigenen Leuten. Und ein wütender Befehlshaber machte Fehler.
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, drehte Karok Bula sich auf dem Absatz um und kehrte in die Reihen seiner Krieger zurück.
An seinem Gang ließ sich unschwer erkennen, dass der Mann vor Wut kochte.
Als er in der Anonymität seiner Streitmacht verschwunden war, marschierten die Moyri wie auf ein unsichtbares Zeichen auf die Mauer zu.
»Fertig machen zum Kampf!«, brüllte Cadros Bal.
Die Moyri brachten ihre Sturmwände in Position; ihre Bogenschützen gingen dahinter in Deckung. Cadros Bal hob sein Schwert in die Luft. Die Varis-Bogenschützen hoben ihre Waffen und zogen die Sehnen an ihre Wangen.
»Was immer auch passiert«, ermahnte Kilian Lyra ein letztes Mal eindringlich, »du bleibst in meiner Nähe.« Als Erwiderung nickte sie lediglich.
»Feuer!«
Die Varis ließen die Sehnen los und ein Schwarm Pfeile flog hoch in die Luft. Am höchsten Punkt ihres Aufstiegs angekommen, beschrieben sie einen leichten Bogen und fielen zur Erde zurück – wo sie ihre Opfer fanden.
Wieder musste Kilian anerkennend nicken. Die Varis zielten nicht auf die feindlichen Bogenschützen, sondern auf die Leiterträger oder die Männer am Rammbock. Nur wenige von ihnen verfügten über Schilde und so sanken mindestens zwei Dutzend von ihnen zu Boden. Doch augenblicklich ersetzten frische Krieger die bereits Gefallenen, sodass es zu keiner nennenswerten Verzögerung des feindlichen Vormarsches kam.
Die Moyri konterten mit ihren eigenen Bogenschützen und ließen einen Pfeilhagel auf die Wehrgänge los. Einige der Verteidiger sanken getroffen zu Boden, doch die meisten duckten sich hinter die Zinnen, sodass die Geschosse harmlos vom
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