Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
und ihre Bewegungen sind durch und durch mechanisch. Descartes betrachtete Tiere als eine Art komplizierte Automaten. Auch in Bezug auf die räumliche Wirklichkeit hat er also eine konsequent mechanistische Wirklichkeitsauffassung – genau wie die Materialisten.«
»Ich bezweifle aber sehr stark, dass Hermes eine Maschine oder ein Automat ist. Descartes hat bestimmt nie ein Tier geliebt. Und was ist mit uns? Sind wir auch Automaten?«
»Ja und nein. Descartes kam zu dem Schluss, dass der Mensch ein Doppelwesen ist, das sowohl denkt als auch Raum einnimmt. Der Mensch hat demnach also eine Seele und einen räumlichen Körper. Etwas Ähnliches hatten bereits Augustinus und Thomas von Aquin formuliert. Sie glaubten, der Mensch habe wie die Tiere einen Körper, aber auch einen Geist wie die Engel. Descartes hält den menschlichen Körper für ein Stück Feinmechanik. Aber der Mensch hat auch eine Seele, die unabhängig vom Körper operieren kann. Die körperlichen Prozesse haben keine solche Freiheit, sie folgen ihren eigenen Gesetzen. Aber das, was wir mit der Vernunft denken, spielt sich nicht im Körper ab. Es geschieht in der Seele, die von der räumlichen Wirklichkeit unabhängig ist. Ich kann vielleicht noch hinzufügen, dass Descartes nicht ausschließen wollte, dass auch Tiere denken können. Aber wenn sie über diese Fähigkeit verfügen, dann muss auch für sie dieselbe Zweiteilung zwischen Denken und Ausdehnung bestehen.«
»Darüber haben wir schon gesprochen. Wenn ich beschließe zum Bus zu rennen, dann setzt sich der gesamte ›Automat‹ in Bewegung. Und wenn ich trotzdem den Bus verpasse, dann kommen mir die Tränen.«
»Nicht einmal Descartes konnte abstreiten, dass es immer wieder zu einer solchen Wechselwirkung zwischen Seele und Körper kommt. Solange die Seele im Körper sitzt, meinte er, sei sie mit dem Körper durch ein ganz spezielles Gehirnorgan, eine Drüse, verbunden, in der eine dauernde Wechselwirkung zwischen Geist und Materie stattfinde. Auf diese Weise kann Descartes zufolge die Seele dauernd von Gefühlen und Empfindungen verwirrt werden, die mit den Bedürfnissen des Körpers zu tun haben. Das Ziel ist, der Seele die Leitung zu übertragen. Denn egal, wie schlimm meine Bauchschmerzen sind, die Winkelsumme in einem Dreieck ist doch immer 180°. Auf diese Weise kann sich das Denken über körperliche Bedürfnisse erheben und ›vernünftig‹ auftreten. So gesehen ist die Seele völlig unabhängig vom Körper. Unsere Beine können alt und schwach werden, unser Rücken krumm und unsere Zähne können ausfallen – aber zwei plus zwei ist und bleibt vier, solange es in uns noch Vernunft gibt. Denn die Vernunft wird nicht alt und gebrechlich. Unsere Körper altern dagegen. Für Descartes ist die Vernunft selber die Seele. Niedrigere Affekte und Stimmungen wie Begierde und Hass sind eng mit den Körperfunktionen verbunden – und damit mit der räumlichen Wirklichkeit.«
»Ich komme nicht so leicht darüber hinweg, dass Descartes den Körper mit einer Maschine oder einem Automaten verglichen hat.«
»Grund für den Vergleich ist, dass die Menschen zu Descartes’ Zeiten total fasziniert waren von Maschinen und Uhrwerken, die scheinbar von selber funktionierten. Das Wort ›Automat‹ bezeichnet ja gerade etwas, das sich von selber bewegt. Nun war es natürlich nur eine Illusion, dass sie sich von selber bewegten. Eine astronomische Uhr ist zum Beispiel von Menschen konstruiert und aufgezogen worden. Descartes betont, dass solche künstlichen Apparate ganz schlicht aus einigen wenigen Teilen zusammengesetzt sind, verglichen mit den Mengen von Knochen, Muskeln, Nerven, Adern und Venen, aus denen die Körper von Menschen und Tieren bestehen. Aber warum sollte Gott nicht auf Grundlage der mechanischen Gesetze einen Tier- oder Menschenkörper herstellen?«
»Heute reden viele von ›künstlicher Intelligenz‹.«
»Dann denken sie an unsere heutigen Automaten. Wir haben Maschinen gebaut, die uns manchmal wirklich von ihrer Intelligenz überzeugen können. Solche Maschinen hätten Descartes sicher in Panik versetzt. Vielleicht hätte er sich gefragt, ob die menschliche Vernunft wirklich so frei und selbständig ist, wie er gedacht hatte. Denn es gibt Philosophen, die das menschliche Seelenleben für ebenso wenig frei halten wie die Körperprozesse. Die Seele eines Menschen ist natürlich unendlich viel komplizierter als irgendein Computerprogramm, aber manche meinen auch, dass wir im Prinzip
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