Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
philosophische Reflexion gab.«
»Ich verstehe.«
»Aber das war nur ein Problem. Die neue Physik hatte außerdem die Frage nach der Natur der Materie gestellt, also danach, was die physikalischen Prozesse in der Natur bestimmt. Immer mehr Menschen sprachen sich für ein materialistisches Naturverständnis aus. Aber je mechanistischer die physische Welt aufgefasst wurde, desto dringlicher wurde die Frage nach dem Verhältnis zwischen Körper und Seele. Vor dem 17. Jahrhundert war die Seele zumeist als eine Art ›Lebensgeist‹ beschrieben worden, der alle lebenden Wesen durchströmte. Die ursprüngliche Bedeutung von ›Seele‹ und ›Geist‹ ist übrigens auch ›Lebenshauch‹ oder ›Atemzug‹. Das gilt für fast alle indogermanischen Sprachen. Aristoteles hielt die Seele für etwas, das überall im gesamten Organismus als ›Lebensprinzip‹ dieses Organismus vorhanden ist – und das losgerissen vom Körper damit unvorstellbar ist. Er konnte deshalb auch von einer ›Pflanzenseele‹ und einer ›Tierseele‹ reden. Erst im 17. Jahrhundert führten die Philosophen eine radikale Trennung zwischen Seele und Körper ein. Und zwar, weil alle physischen Gegenstände – auch ein Tier- oder Menschenkörper – als mechanischer Prozess erklärt wurden. Aber die menschliche Seele konnte doch kein Teil dieser ›Körpermaschinerie‹ sein? Und was war sie dann? Nicht zuletzt musste noch erklärt werden, wie etwas ›Geistiges‹ überhaupt einen mechanischen Prozess in Bewegung setzen konnte.«
»Das ist eigentlich ein ziemlich seltsamer Gedanke.«
»Wie meinst du das?«
»Ich beschließe, meinen Arm zu heben – und dann, ja, dann hebt sich der Arm. Oder ich beschließe, zum Bus zu rennen und im nächsten Augenblick wirbeln meine Beine los wie Trommelstöcke. Manchmal denke ich an etwas Trauriges: Schon kommen mir die Tränen. Also muss irgendeine geheimnisvolle Verbindung zwischen Körper und Bewusstsein bestehen.«
»Genau dieses Problem hat Descartes zum Nachdenken angeregt. Wie Platon war er davon überzeugt, dass zwischen Geist und Materie eine scharfe Grenze besteht. Aber auf die Frage, wie denn der Geist den Körper beeinflusst – oder die Seele den Körper –, konnte Platon keine Antwort geben.«
»Ich auch nicht, und deshalb bin ich gespannt, was Descartes herausgefunden hat.«
»Hören wir seine eigenen Überlegungen.«
Alberto zeigte auf das Buch, das zwischen ihnen auf dem Tisch lag, und fuhr fort:
»In diesem kleinen Buch ›Abhandlung über die Methode‹ stellt Descartes die Frage, mit welcher philosophischen Methode ein Philosoph ein philosophisches Problem lösen soll. Die Naturwissenschaft hatte ja schon ihre neue Methode entwickelt ...«
»Das hast du schon gesagt.«
»Descartes erklärt zunächst, dass wir nichts als wahr betrachten dürfen, solange wir nicht klar und deutlich erkannt haben, dass es wahr ist. Um das zu erreichen, müssen wir vielleicht ein kompliziertes Problem in so viele Einzelteile wie möglich zerlegen. Nun können wir bei den allereinfachsten Gedanken anfangen. Du kannst vielleicht sagen, dass jeder einzelne Gedanke ›gewogen und gemessen‹ wird – ungefähr so, wie Galilei alles messen und das Nichtmessbare messbar machen wollte. Descartes glaubte, der Philosoph könne vom Einfachen zum Komplizierten weitergehen. Auf diese Weise könne eine neue Erkenntnis aufgebaut werden. Bis ganz zum Schluss müsse man dann durch ständiges Nachrechnen und Kontrollieren überprüfen, dass man nichts ausgelassen hat. Nur so könne man zu philosophischen Schlussfolgerungen kommen.«
»Das hört sich an wie eine Rechenaufgabe.«
»Ja, Descartes wollte die ›mathematische Methode‹ auch auf die philosophische Reflexion anwenden. Er wollte philosophische Wahrheiten ungefähr genauso beweisen wie einen mathematischen Lehrsatz. Er wollte genau dasselbe Werkzeug anwenden, das wir bei der Arbeit mit Zahlen benutzen, nämlich die Vernunft . Denn nur die Vernunft kann uns sichere Erkenntnis vermitteln. Es steht durchaus nicht fest, dass auf die Sinne Verlass ist. Wir haben schon auf seine Verwandtschaft mit Platon hingewiesen. Auch der hatte ja gesagt, dass Mathematik und Zahlenverhältnisse sicherere Erkenntnis vermitteln als die Aussage unserer Sinne.«
»Aber ist es möglich, auf diese Weise philosophische Fragen zu beantworten?«
»Kehren wir zu Descartes’ eigener Schlussfolgerung zurück. Sein Ziel ist es also, sichere Kenntnisse über die Natur des Daseins zu
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