Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
Ewigkeit‹ zu betrachten.«
»Unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit?«
»Ja, Sofie. Glaubst du, du könntest es schaffen, dein eigenes Leben in einem kosmischen Zusammenhang zu sehen? Dann müsstest du gewissermaßen dich selbst und dein Leben hier und jetzt aus zusammengekniffenen Augenwinkeln betrachten ...«
»Hm ... das ist nicht so leicht.«
»Denk daran, dass du nur ein winziges Teilchen des gesamten Lebens der Natur bist. Du gehörst also in einen ungeheuer großen Zusammenhang.«
»Ich glaube, ich verstehe, was du meinst.«
»Kannst du das auch erleben? Kannst du die ganze Natur auf einmal erfassen – ja, das ganze Universum –, in einem einzigen Augenblick?«
»Kommt drauf an. Vielleicht brauchte ich ein paar optische Gläser.«
»Und ich denke hier nicht nur an das unendliche Weltall. Ich denke auch an einen unendlichen Zeitraum. Vor dreißigtausend Jahren lebte ein kleiner Junge im Rheinland. Er war ein winziges Teilchen der Allnatur, ein kleines Kräuseln auf einem unendlich großen Meer. So, Sofie, lebst auch du ein winziges Teilchen des Lebens der Natur. Zwischen dir und diesem Jungen gibt es keinen Unterschied.«
»Immerhin lebe ich jetzt.«
»Ja, aber gerade deshalb sollst du dich aus zusammengekniffenen Augen betrachten. Wer bist du in dreißigtausend Jahren?«
»War das eine Irrlehre?«
»Naja ... Spinoza hat nicht nur gesagt, dass alles, was existiert, Natur ist. Er setzte auch ein Gleichheitszeichen zwischen Gott und der Natur. Er sah Gott in allem, was existiert, und alles, was existiert, in Gott.«
»Dann war er Pantheist.«
»Stimmt. Für Spinoza ist Gott niemand, der die Welt einmal erschaffen hat und seither neben seiner Schöpfung steht. Nein, Gott ist die Welt. Manchmal drückt er sich auch ein wenig anders aus. Er betont, dass die Welt in Gott ist. Hier weist er auf die Rede des Apostels Paulus auf dem Areopag hin. ›Denn in ihm leben, weben und sind wir‹, hatte Paulus gesagt. Aber lass uns Spinozas eigenen Gedankengang verfolgen. Sein wichtigstes Werk heißt: ›Die Ethik mit geometrischer Methode begründet‹.«
»Ethik ... und geometrische Methode?«
»Das klingt in unseren Ohren vielleicht etwas seltsam. Unter Ethik verstehen die Philosophen die Lehre, wie wir leben sollen, um ein gutes Leben zu führen. In dieser Bedeutung reden wir zum Beispiel über Sokrates’ oder Aristoteles’ Ethik. Nur in unserer Zeit ist die Ethik gewissermaßen auf einige Regeln reduziert worden, nach denen wir leben können, ohne unseren Mitmenschen auf die Zehen zu treten.«
»Denn an das eigene Glück zu denken, wird als Egoismus aufgefasst?«
»Ungefähr so, ja. Wenn Spinoza das Wort Ethik benutzt, dann könnte es ebenso gut mit Lebenskunst oder Moral übersetzt werden.«
»Aber trotzdem ... ›Lebenskunst mit geometrischer Methode begründet‹?«
»Die geometrische Methode bezieht sich auf die Sprache oder Darstellungsform. Du weißt doch noch, dass Descartes die mathematische Methode auch auf die philosophische Reflexion anwenden wollte. Darunter verstand er eine philosophische Reflexion, die aus strengen Schlüssen aufgebaut ist. Spinoza steht in derselben rationalistischen Tradition. In seiner Ethik wollte er zeigen, wie das Menschenleben von den Naturgesetzen gelenkt wird. Wir müssen uns deshalb von unseren Gefühlen und Empfindungen befreien, denn nur so können wir Ruhe finden und glücklich werden, meinte er.«
»Wir werden doch wohl nicht nur von den Naturgesetzen gelenkt?«
»Naja, Spinoza ist wirklich nicht leicht in den Griff zu kriegen, Sofie. Du weißt doch noch, dass Descartes meinte, die Wirklichkeit bestehe aus zwei streng voneinander getrennten Substanzen, nämlich Denken und Ausdehnung.«
»Wie hätte ich das vergessen sollen?«
»Das Wort ›Substanz‹ lässt sich ungefähr so übersetzen: das, aus dem etwas besteht, was es im Grunde ist, oder worauf es sich zurückführen lässt. Alles ist entweder Denken oder Ausdehnung, meinte er.«
»Ich brauche keine Wiederholung.«
»Aber Spinoza nahm diese Trennung nicht hin. Er meinte, es gebe nur eine einzige Substanz. Alles, was ist, lässt sich auf ein und dasselbe zurückführen, meinte er. Und dieses Eine bezeichnete er einfach als Substanz . An anderen Stellen nennt er es ›Gott‹ oder ›Natur‹. Spinoza hat also keine dualistische Wirklichkeitsauffassung wie Descartes. Wir bezeichnen ihn als Monisten . Das bedeutet, dass er die gesamte Natur und alle Lebensverhältnisse auf ein und dieselbe
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