Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
sich vor die Tastatur.
»Wie zum Kranich bist du in meinen PC geraten?«, schrieb er.
»Eine Bagatelle, lieber Kollege. Ich bin genau da, wo ich mich zu offenbaren beliebe.«
»Du widerlicher Computervirus!«
»Aber, aber! Im Moment trete ich als Geburtstagsvirus auf. Darf ich einen ganz besonderen Gruß übermitteln?«
»Danke, davon haben wir langsam genug.«
»Aber ich werde mich beeilen: Alles geschieht nur zu deinen Ehren, liebe Hilde. Also gratuliere ich dir herzlich zum fünfzehnten Geburtstag. Du musst die Umstände entschuldigen, aber ich möchte, dass meine Glückwünsche überall da aufsprießen, wo du dich bewegst. Grüße von Papa, der dich so gern in den Arm nehmen würde!«
Ehe Alberto noch mehr schreiben konnte, erschien wieder das C: auf dem Bildschirm.
Alberto tippte »dir knag*,*« ein und erhielt folgende Auskunft:
knag.lib
147.643
15/06–90
14.57
knag.lil
326.439
23/06–90
22.34
Alberto schrieb: »erase knag*.*« und schaltete den Computer aus.
»So, jetzt habe ich ihn getilgt«, sagte er. »Aber es ist unmöglich zu sagen, wo er wieder auftauchen wird.«
Er starrte den Bildschirm an, dann fügte er hinzu:
»Das Allerschlimmste ist der Name. Albert Knag ...«
Erst jetzt ging Sofie die Ähnlichkeit der Namen auf. Albert Knag und Alberto Knox. Aber Alberto war so aufgebracht, dass sie es nicht wagte, den Mund aufzumachen. Sie setzten sich wieder an den Tisch.
Spinoza
... Gott ist kein Puppenspieler ...
Sie hatten lange schweigend dagesessen. Am Ende sagte Sofie, nur um Alberto auf andere Gedanken zu bringen:
»Descartes muss ein seltsamer Mensch gewesen sein. War er berühmt?«
Alberto atmete zweimal schwer, ehe er antwortete:
»Er hatte nach und nach sehr großen Einfluss. Am allerwichtigsten war vielleicht seine Bedeutung für einen anderen großen Philosophen. Ich denke an den niederländischen Philosophen Baruch Spinoza , der von 1632 bis 1677 lebte.«
»Willst du auch über ihn erzählen?«
»Das hatte ich vor, ja. Und wir lassen uns nicht von militärischen Provokationen aufhalten.«
»Ich bin ganz Ohr.«
»Spinoza gehörte zur jüdischen Gemeinde in Amsterdam, aber bald wurde wegen seiner angeblichen Irrlehren der Bannfluch über ihn verhängt. Wenige Philosophen neuerer Zeit sind wegen ihrer Gedanken dermaßen verspottet und verfolgt worden wie dieser Mann. Es wurde sogar ein Mordanschlag auf ihn verübt. Einfach nur, weil er die offizielle Religion kritisiert hatte. Er meinte, nur erstarrte Dogmen und leere Rituale hielten Christentum und Judentum noch am Leben. Er selber wandte als Erster eine so genannte ›historisch-kritische‹ Betrachtungsweise auf die Bibel an.«
»Das musst du erklären.«
»Er stritt ab, dass die Bibel bis in den kleinsten Buchstaben von Gott inspiriert sei. Wenn wir in der Bibel lesen, meinte er, müssen wir die Zeit im Auge behalten, wann sie entstanden ist. Dieses ›kritische‹ Lesen lässt uns dann eine Reihe von Widersprüchen zwischen den verschiedenen Büchern und Evangelien der Bibel erkennen. Unter der Oberfläche der Texte des Neuen Testamentes begegnet uns dann immer noch Jesus, den wir als Sprachrohr Gottes bezeichnen können. Denn Jesu Verkündigung bedeutete ja gerade eine Befreiung vom erstarrten Judentum. Jesus verkündete eine ›Vernunftreligion‹, der die Liebe das Höchste war. Spinoza denkt hier sowohl an die Liebe zu Gott als auch an die Liebe zu unseren Mitmenschen. Aber auch das Christentum erstarrte rasch zu versteinerten Dogmen und leeren Ritualen.«
»Ich kann ja verstehen, dass solche Gedanken für die Kirchen und Synagogen ganz schön schwer verdaulich waren.«
»Als es hart auf hart ging, wurde Spinoza sogar von seiner eigenen Familie im Stich gelassen. Sie wollten ihn aufgrund seiner Irrlehre enterben. Das Paradoxe dabei war, dass wenige Meinungsfreiheit und religiöse Toleranz energischer verteidigt hatten als gerade Spinoza. Die vielen Widerstände, mit denen er zu kämpfen hatte, brachten ihn schließlich dazu, ein stilles Leben zu führen, das er ganz und gar der Philosophie widmete. Sein Brot verdiente er mit dem Schleifen von optischen Gläsern. Einige dieser Linsen sind, wie gesagt, in meinen Besitz gelangt.«
»Beeindruckend.«
»Dass er vom Linsenschleifen lebte, hat fast etwas Symbolisches. Die Philosophen sollen den Menschen ja helfen, das Dasein in einer neuen Perspektive zu sehen. Und grundlegend für Spinozas Philosophie ist der Wunsch, die Dinge unter dem ›Gesichtspunkt der
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