Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
eine Vorstellung von einem vollkommenen Wesen haben, und dass es in dieser Vorstellung liegt, dass es dieses vollkommene Wesen geben muss. Denn ein vollkommenes Wesen wäre nicht vollkommen, wenn es nicht existierte. Außerdem hätten wir keine Vorstellung von einem vollkommenen Wesen, wenn es kein solches Wesen gäbe. Denn wir sind unvollkommen, und deshalb kann die Idee des Vollkommenen nicht von uns stammen. Die Idee eines Gottes ist nach Descartes’ Ansicht eine angeborene Idee, die uns bei der Geburt eingepflanzt worden ist – ›gleichsam als das Zeichen, das der Künstler seinem Werke aufgeprägt hat‹, wie er schreibt.«
»Aber auch wenn ich eine Vorstellung von einem Krokofanten habe, dann bedeutet das doch nicht, dass es Krokofanten gibt.«
»Descartes hätte gesagt, dass es auch nicht im Begriff ›Krokofant‹ liegt, dass es ihn gibt. Aber es liegt im Begriff ›vollkommenes Wesen‹, dass dieses Wesen auch existiert. Für Descartes steht das genauso fest wie die Tatsache, dass es in der Idee des Kreises liegt, dass alle Punkte auf dem Kreis von der Mitte des Kreises gleich weit entfernt sind. Du kannst also nicht von einem Kreis sprechen, wenn er diese Anforderungen nicht erfüllt. Und du kannst auch nicht von einem vollkommenen Wesen sprechen, wenn ihm die wichtigste aller Eigenschaften fehlt, nämlich die Existenz.«
»Das ist aber ein sehr spezieller Gedankengang.«
»Das ist ein ausgesprochen ›rationalistischer‹ Gedankengang. Descartes sah wie Sokrates und Platon einen Zusammenhang zwischen Denken und Existenz. Je einleuchtender etwas für das Denken ist, umso sicherer ist auch seine Existenz.«
»Bisher hat er erkannt, dass er eine denkende Person ist und dass es außerdem ein vollkommenes Wesen gibt.«
»Und von diesem Ausgangspunkt geht er weiter. Alle Vorstellungen, die wir von der äußeren Wirklichkeit haben – zum Beispiel Sonne und Mond –, könnten ja durchaus auch allesamt nur Traumbilder sein. Aber auch die äußere Wirklichkeit hat einige Eigenschaften, die wir mit der Vernunft erkennen können. Und zwar die mathematischen Verhältnisse, also das, was gemessen werden kann, nämlich Länge, Breite und Tiefe. Diese quantitativen Eigenschaften sind für die Vernunft ebenso deutlich wie die Tatsache, dass ich ein denkendes Wesen bin. Qualitative Eigenschaften wie Farbe, Geruch und Geschmack hängen dagegen mit unserem Sinnesapparat zusammen und beschreiben eigentlich keine äußere Wirklichkeit.«
»Die Natur ist also doch kein Traum?«
»Nein, und an diesem Punkt greift Descartes wieder auf unsere Vorstellung eines vollkommenen Wesens zurück. Wenn unsere Vernunft etwas ganz klar und deutlich erkennt – wie es bei den mathematischen Verhältnissen der äußeren Wirklichkeit der Fall ist –, dann muss es auch so sein. Denn ein vollkommener Gott würde uns nicht zum Narren halten. Descartes beruft sich auf ›Gottes Garantie‹ dafür, dass das, was wir mit unserer Vernunft erkennen, auch etwas Wirklichem entspricht.«
»Na gut. Nun hat er herausgefunden, dass er ein denkendes Wesen ist, dass es einen Gott gibt, und dass es außerdem eine äußere Wirklichkeit gibt.«
»Aber zwischen der äußeren Wirklichkeit und der Wirklichkeit der Gedanken besteht ein Wesensunterschied. Descartes kann jetzt davon ausgehen, dass es zwei verschiedene Formen der Wirklichkeit gibt – oder zwei Substanzen . Die eine Substanz ist das Denken oder die Seele, die andere die Ausdehnung oder die Materie. Die Seele ist nur bewusst, sie nimmt im Raum keinen Platz ein, und deshalb lässt sie sich auch nicht mehr in kleinere Teile aufteilen. Die Materie dagegen ist nur ausgedehnt, sie nimmt Platz im Raum ein und lässt sich deshalb in immer kleinere Teile zerteilen – aber sie ist nicht bewusst. Descartes sagt, beide Substanzen stammten von Gott, denn nur Gott existiere unabhängig von etwas anderem. Aber wenn auch Denken und Ausdehnung von Gott stammen, so sind die beiden Substanzen doch ganz unabhängig voneinander. Das Denken ist frei in seinem Verhältnis zur Materie – und umgekehrt: Die materiellen Prozesse operieren ebenfalls gänzlich unabhängig voneinander.«
»Und damit wurde Gottes Schöpfung zweigeteilt.«
»Genau. Wir bezeichnen Descartes als Dualisten , und das bedeutet, dass er eine scharfe Trennlinie zwischen der geistigen und der räumlichen Wirklichkeit zieht. Zum Beispiel hat nur der Mensch eine Seele. Die Tiere gehören ganz und gar der räumlichen Wirklichkeit an. Ihr Leben
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