Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
...«
»Die Melodien werden so kombiniert, dass sie sich so weit wie möglich unabhängig davon, wie sie zusammenklingen, entfalten. Aber es muss ja auch Harmonie geben. Das bezeichnen wir als Kontrapunkt. Eigentlich bedeutet das, Note gegen Note.«
Was für eine Frechheit! Die beiden waren doch schließlich weder taub noch blind. Sofie versuchte es noch ein drittes Mal, indem sie sich vor ihnen aufbaute und ihnen den Weg versperrte.
Sie wurde einfach beiseite geschoben.
»Es wird ganz schön windig«, sagte die Frau.
Sofie rannte zu Alberto zurück.
»Die hören nicht!«, sagte sie – und während sie das sagte, fiel ihr der Traum von Hilde und dem Goldkreuz ein.
»Den Preis müssen wir wohl bezahlen, Sofie. Wenn wir uns aus einem Buch herausschleichen, können wir nicht erwarten, dass wir denselben Status erlangen wie sein Verfasser. Aber wir sind ja hier. Und von nun an werden wir keinen Tag älter werden, als wir beim Verlassen des philosophischen Gartenfestes waren.«
»Aber werden wir nie richtig Kontakt zu den Menschen in unserer Nähe aufnehmen können?«
»Ein echter Philosoph sagt nie ›nie‹. Hast du eine Uhr?«
»Es ist acht.«
»Wie vorhin, als wir das Fest verlassen haben, ja.«
»Heute kommt Hildes Vater aus dem Libanon zurück.«
»Dann müssen wir uns beeilen.«
»Ach – wie meinst du das?«
»Bist du nicht gespannt, was passiert, wenn der Major nach Bjerkely zurückkommt?«
»Natürlich, aber ...«
»Also los!«
Sie gingen hinunter in Richtung Stadt. Mehrmals begegneten ihnen Menschen, aber Sofie und Alberto schienen für alle nur Luft zu sein.
Am Straßenrand parkte ein Auto hinter dem anderen. Plötzlich blieb Alberto vor einem roten Sportwagen mit offenem Dach stehen.
»Ich glaube, das können wir nehmen. Wir müssen nur ganz sicher sein, dass es unser Auto ist.«
»Ich verstehe überhaupt nichts mehr.«
»Dann erkläre ich es dir. Wir können uns nicht einfach ein normales Auto nehmen, das einem Menschen hier in der Stadt gehört. Was, glaubst du, würde passieren, wenn die Leute ein Auto entdecken, das ohne Fahrer fährt? Außerdem würde es uns kaum gelingen, es zum Fahren zu bringen.«
»Und was ist mit dem hier?«
»Ich glaube, den kenne ich aus einem alten Film.«
»Entschuldige, aber ich ärgere mich langsam über alle diese geheimnisvollen Andeutungen.«
»Das ist ein Phantasieauto, Sofie. Es ist genau wie wir. Die Menschen in dieser Stadt sehen nur einen leeren Parkplatz. Und genau das müssen wir überprüfen, ehe wir losfahren.«
Sie blieben stehen und warteten. Nach einer Weile kam ein Junge angeradelt und fuhr mitten durch das rote Auto.
»Da siehst du’s! Es ist unseres!«
Alberto öffnete die Tür auf der Beifahrerseite.
»Bitte sehr!«, sagte er, und Sofie stieg ein.
Er selber setzte sich hinters Lenkrad. Der Zündschlüssel steckte, Alberto drehte ihn herum – und der Wagen sprang an.
Nachdem er den Kirkeveien hinter sich gelassen hatte, hatten sie auch bald den Drammensveien erreicht. Sie passierten Lysaker und Sandvika. Nach und nach sahen sie die ersten Johannisfeuer, vor allem, als Drammen hinter ihnen lag.
»Es ist Mittsommer, Sofie! Ist das nicht wunderbar?«
»Und in einem offenen Wagen weht der Wind so frisch. Kann uns wirklich niemand sehen?«
»Nur die, die zu uns gehören. Vielleicht begegnen uns sogar ein paar von ihnen. Wie spät ist es?«
»Halb zehn.«
»Dann müssen wir Abkürzungen nehmen. Wir können jedenfalls nicht mehr länger hinter diesem LKW herzockeln.«
Er bog in ein großes Kornfeld. Sofie drehte sich um und sah, dass sie einen breiten Streifen plattgedrückter Halme hinter sich ließen.
»Morgen sagen sie, der Wind hätte das Feld so zugerichtet«, meinte Alberto.
Major Albert Knag war in Kopenhagen gelandet. Es war Samstag, der 23. Juni, 16.30 Uhr. Er hatte schon einen langen Tag hinter sich. Der Flug von Rom nach Kopenhagen war die vorletzte Etappe seiner Reise gewesen.
In der UN-Uniform, auf die er immer so stolz war, passierte er die Passkontrolle. Er repräsentierte nicht nur sich selber, er repräsentierte eine internationale Rechtsordnung – und deshalb eine jahrhundertealte Tradition, die den gesamten Planeten umfasste.
Er trug eine kleine Schultertasche; sein übriges Gepäck hatte er in Rom aufgegeben. Er brauchte nur mit seinem roten Pass zu winken.
»Nothing to declare.«
Major Albert Knag hatte fast drei Stunden Aufenthalt in Kopenhagen, dann erst ging sein Flugzeug nach Kristiansand. Er
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