Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
aufgeschlossener sind als die, die schon eine Weile gelebt haben.
»Wir möchten gern mehr hören«, sagte ein Junge mit blonden Locken und einer Brille.
»Danke schön, aber viel mehr gibt es nicht zu sagen. Wenn uns erst einmal aufgegangen ist, dass wir nur Traumbilder im dösigen Bewusstsein eines anderen Menschen sind, ist es nach meiner Meinung am vernünftigsten zu schweigen. Aber abschließend kann ich euch jungen Leuten einen kleinen Kurs über die Geschichte der Philosophie empfehlen. Dadurch entwickelt ihr eine kritische Einstellung gegenüber der Welt, in der ihr lebt. Es ist auch wichtig, den Werten der Elterngeneration gegenüber kritisch zu sein. Wenn ich Sofie etwas beizubringen versucht habe, dann kritisches Denken. Hegel hat das als negatives Denken bezeichnet.«
Der Stadtkämmerer stand immer noch. Er stand da und trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte.
»Dieser Agitator will die gesunden Einstellungen zerstören, die wir zusammen mit Schule und Kirche der heranwachsenden Generation einzupflanzen versuchen – der Generation, die unsere Zukunft ist und die eines Tages unsere Besitztümer erben wird. Wenn er nicht sofort aus dieser Gesellschaft entfernt wird, rufe ich meinen Anwalt an. Er wird wissen, was zu tun ist.«
»Es spielt überhaupt keine Rolle, was Sie glauben tun zu sollen, denn Sie sind nur ein Schattenbild. Außerdem werden Sofie und ich dieses Fest bald verlassen. Der Philosophiekurs war nämlich kein rein theoretisches Projekt. Er hatte auch eine praktische Seite. Wenn die Zeit dafür reif ist, werden wir das Kunststück des Verduftens vorführen. Und auf dieselbe Weise werden wir uns auch aus dem Bewusstsein des Majors schleichen.«
Helene Amundsen packte ihre Tochter am Arm.
»Du willst mich doch wohl nicht verlassen, Sofie?«
Sofie legte einen Arm um sie und blickte zu Alberto auf.
»Mama wird so traurig sein ...«
»Nein, das ist Unsinn. Du darfst nicht vergessen, was du gelernt hast. Von diesem Quatsch wollen wir uns doch gerade befreien. Deine Mutter ist ebenso wirklich eine nette und liebe Frau, wie Rotkäppchens Korb neulich mit Kuchen und Wein für die Großmutter gefüllt war. Und sie ist genauso wirklich traurig, wie das Flugzeug vorhin für sein Glückwunschmanöver Benzin benötigt hat.«
»Ich glaube, ich verstehe, was du meinst«, sagte Sofie. Dann drehte sie sich wieder zu ihrer Mutter um. »Und deshalb muss ich tun, was er sagt, Mama. Eines Tages hätte ich dich sowieso verlassen müssen.«
»Du wirst mir fehlen«, sagte ihre Mutter. »Aber wenn es einen Himmel über diesem gibt, dann musst du eben fliegen. Ich versuche, mich gut um Govinda zu kümmern. Bekommt sie ein oder zwei Salatblätter pro Tag?«
Alberto legte ihr eine Hand auf die Schulter.
»Weder dir noch sonst irgendwem werden wir fehlen und das liegt einfach daran, dass es euch alle hier nicht gibt. Es gibt euch nicht, also habt ihr auch nichts, womit ihr uns vermissen könntet.«
»Das ist wirklich die allergröbste Beleidigung, die mir je untergekommen ist!«, rief Frau Ingebrigtsen.
Der Stadtkämmerer nickte.
»Wir können ihn ohne weiteres wegen Beleidigung verklagen. Und du wirst sehen, er ist Kommunist. Er will uns nicht umsonst alles wegnehmen, was wir lieben. Der Mann ist ein Schuft, ein verkommener Schurke ...«
Nun setzte sich Alberto und der Stadtkämmerer tat es ihm nach. Er war vor Zorn ganz rot im Gesicht. Jetzt kamen auch Jorunn und Jørgen wieder an den Tisch und setzten sich. Ihre Kleider waren verdreckt und zerknittert. Jorunns blonde Haare waren mit Erde und Lehm verklebt.
»Mama, ich kriege ein Kind«, verkündete sie.
»Na gut, aber warte gefälligst damit, bis wir zu Hause sind.«
Ihr Mann sprang ihr sofort bei:
»Ja, sie soll sich gefälligst zusammennehmen. Und wenn das Kind heute Abend noch getauft werden soll, muss sie alles selber arrangieren.«
Alberto blickte ernst zu Sofie.
»Es ist so weit.«
»Kannst du uns nicht wenigstens noch etwas Kaffee holen, bevor du gehst?«, fragte ihre Mutter.
»Doch, Mama, das mach ich sofort.«
Sofie nahm die Thermoskanne vom Tisch. In der Küche musste sie die Kaffeemaschine einschalten. Während sie auf den Kaffee wartete, fütterte sie die Vögel und die Goldfische. Sie konnte die Katze nicht sehen, öffnete aber eine große Dose Katzenfutter, kippte den Inhalt in einen tiefen Teller und stellte ihn vor die Tür. Sie merkte, dass ihre Augen feucht waren.
Als sie mit dem Kaffee zurückkam, hatte das Gartenfest
Weitere Kostenlose Bücher