Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie
mehr Ähnlichkeit mit einem Kindergeburtstag als mit einem Fest für eine Fünfzehnjährige. Die Cola- und Limonadenflaschen waren umgestoßen, ein Stück Schokoladenkuchen war auf dem Tisch verschmiert und die Schüssel mit den Schokoküssen lag umgestülpt auf dem Boden. Als Sofie die Kanne abstellte, steckte gerade ein Junge einen Chinaböller in die Sahnetorte. Sie explodierte und Creme und Schlagsahne spritzten über den Tisch und die Festgäste. Am schlimmsten traf es Frau Ingebrigtsens roten Hosenanzug.
Seltsamerweise nahmen Sofie und alle anderen das mit großer Gemütsruhe hin. Dann langte auch Jorunn nach einem Stück Schokoladenkuchen und schmierte es Jørgen ins Gesicht. Gleich darauf fing sie an, ihn wieder sauber zu lecken.
Sofies Mutter und Alberto hatten sich in einiger Entfernung auf die Hollywoodschaukel gesetzt. Sie winkten Sofie zu.
»Endlich könnt ihr euch unter vier Augen unterhalten«, sagte Sofie.
»Und du hattest wirklich Recht«, sagte ihre Mutter fröhlich. »Alberto ist ein großartiger Mensch. Ich überlasse dich seinen starken Armen.«
Sofie setzte sich zwischen sie.
Zwei Jungen waren aufs Dach geklettert, ein Mädchen pikste mit einer Haarnadel Löcher in die Ballons und nun kam auch noch ein ungebetener Gast auf einem Moped angefahren. Auf dem Gepäckträger transportierte er eine Kiste mit Bier und Schnaps. Er wurde von einigen hilfsbereiten Jungen in Empfang genommen.
Der Stadtkämmerer erhob sich. Er klatschte in die Hände und sagte:
»Wollen wir spielen, Kinder?«
Er schnappte sich eine Bierflasche, leerte sie aus und stellte sie ins Gras. Danach ging er zum Tisch und holte die vier untersten Baumkuchenringe. Er zeigte den Gästen, wie sie mit den Ringen nach der Flasche werfen sollten.
»Die letzten Zuckungen«, sagte Alberto. »Wir müssen endlich los, bevor der Major noch den Schlussstrich zieht und Hilde den großen Ordner zuklappt.«
»Dann musst du ganz allein aufräumen, Mama.«
»Macht nichts, mein Kind. Und ich denke, das hier wäre doch kein Leben für dich. Wenn Alberto dir etwas Besseres bieten kann, ist niemand glücklicher darüber als ich. Hast du nicht gesagt, er hätte ein weißes Pferd?«
Sofie schaute um sich. Der Garten war nicht mehr wieder zu erkennen. Überall waren Flaschen und Hähnchenknochen, Negerküsse und Ballons ins Gras getrampelt.
»Das war einmal mein kleines Paradies«, sagte sie.
»Und jetzt wirst du daraus vertrieben«, antwortete Alberto.
Ein Junge hatte sich in den weißen Mercedes gesetzt. Jetzt fuhr er los, bretterte durch das geschlossene Gartentor, bog ab auf den Kiesweg und fuhr durch den Garten.
Sofie wurde am Arm gepackt. Jemand zog sie in die Höhle. Dann hörte sie Albertos Stimme:
»Jetzt!«
Im selben Augenblick rammte der weiße Mercedes einen Apfelbaum. Unreife Äpfel hagelten auf die Motorhaube.
»Das geht zu weit!«, rief der Stadtkämmerer. »Ich verlange Schadensersatz!«
Seine bezaubernde Frau unterstützte ihn voll und ganz:
»Daran ist nur dieser Trottel schuld. Wo steckt er?«
»Sie sind wie vom Erdboden verschlungen«, sagte Sofies Mutter und sie sagte das nicht ohne einen gewissen Stolz.
Sie stand auf und begann, die Spuren des philosophischen Gartenfestes zu beseitigen.
»Möchte niemand mehr Kaffee?«
Kontrapunkt
... zwei oder mehr Melodien erklingen gleichzeitig ...
Hilde setzte sich im Bett auf. Hier endete die Geschichte von Sofie und Alberto. Aber was passierte da eigentlich? Warum hatte ihr Vater dieses letzte Kapitel geschrieben? Wollte er damit seine Macht über Sofies Welt demonstrieren?
Sehr nachdenklich ging sie ins Badezimmer und zog sich an. Nach einem kurzen Frühstück schlenderte sie hinaus in den Garten und setzte sich auf die Hollywoodschaukel.
Sie stimmte Alberto darin zu, dass seine Rede das einzig Vernünftige war, was auf diesem Gartenfest geschehen war. Ihr Vater konnte doch wohl nicht meinen, dass Hildes Welt genauso chaotisch war wie Sofies Gartenfest? Oder dass auch ihre Welt irgendwann kollabieren würde?
Und dann waren da ja noch Sofie und Alberto. Was war aus ihrem Geheimplan geworden?
Sollte Hilde jetzt etwa selber weiterdichten? Oder hatten sie sich wirklich aus der Erzählung schleichen können? Aber wo waren sie dann?
Plötzlich ging ihr etwas auf: Wenn Alberto und Sofie sich wirklich aus der Geschichte geschlichen hatten, dann würde darüber nichts auf den Blättern im Ordner stehen können. Über alles, was dort stand, war ihr Vater nur zu gut im
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