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Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Titel: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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uns schon noch besser kennen lernen«, sagte er, als ob er ihre Gedanken gelesen hätte.
    Während sie so dasaßen und das Licht, das durch die bunten Fenster in die Kirche strömte, langsam klarer und klarer wurde, begann Alberto Knox, über die Philosophie des Mittelalters zu erzählen.
    »Dass das Christentum die Wahrheit bedeutete, nahmen die Philosophen des Mittelalters fast als gegeben hin«, begann er. »Die Frage war, ob wir einfach an die christliche Offenbarung glauben müssen, oder ob wir uns den christlichen Wahrheiten auch mit Hilfe der Vernunft nähern können. Wie sah das Verhältnis zwischen den griechischen Philosophen und den Lehren der Bibel aus? Bestand ein Widerspruch zwischen Bibel und Vernunft oder ließen Glaube und Wissen sich vereinen? Fast alle Philosophie des Mittelalters kreiste um diese eine Frage.«
    Sofie nickte ungeduldig. Diese Sache mit Glaube und Wissen hatte sie schließlich in ihrer Religionsarbeit schon beantwortet.
    »Wir werden sehen, wie diese Problematik bei den beiden wichtigsten Philosophen des Mittelalters aussieht, und wir können mit Augustinus anfangen, der von 354 bis 430 lebte. Im Leben dieses einen Menschen können wir den Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter studieren. Augustinus wurde im Städtchen Tagaste in Nordafrika geboren, ging aber schon mit sechzehn Jahren zum Studium nach Karthago. Später besuchte er Rom und Mailand und verbrachte die letzten Jahre seines Lebens als Bischof von Hippo, dreißig oder vierzig Kilometer westlich von Karthago. Aber er war nicht sein ganzes Leben lang Christ. Augustinus versuchte sich an vielen religiösen und philosophischen Strömungen, ehe er zum Christen wurde.«
    »Kannst du mir Beispiele nennen?«
    »Eine Zeit lang war er Manichäer . Die Manichäer waren eine für die Spätantike sehr typische Sekte. Sie verkündeten eine halb religiöse und halb philosophische Heilslehre. Sie teilten die Welt in Gut und Böse, Licht und Finsternis, Geist und Stoff ein. Kraft ihres Geistes konnten sich die Menschen über die Welt des Stoffes erheben und auf diese Weise die Grundlage für die Erlösung ihrer Seele schaffen. Aber die scharfe Trennung zwischen Gut und Böse ließ Augustinus keine Ruhe. Der junge Augustinus beschäftigte sich überhaupt stark mit dem, was wir oft als ›das Problem des Bösen‹ bezeichnen. Darunter ist die Frage zu verstehen, woher das Böse stammt. Eine Zeit lang war er von der stoischen Philosophie beeinflusst und die Stoiker stritten ja eine scharfe Trennung zwischen Gut und Böse ab. Vor allem aber wurde Augustinus von der zweiten wichtigen philosophischen Richtung der Spätantike geprägt – dem Neuplatonismus. Hier stieß er auf den Gedanken, dass das gesamte Dasein göttlicher Natur sei.«
    »Und dann wurde er zum neuplatonischen Bischof?«
    »Ja, so kannst du das vielleicht ausdrücken. Zuallererst wurde er zum Christen, aber Augustinus’ Christentum ist in hohem Maße vom platonischen Denken beeinflusst. Und deshalb, verstehst du, Sofie, geht es nicht um einen dramatischen Bruch mit der griechischen Philosophie, sobald wir einen Fuß ins christliche Mittelalter setzen. Vieles aus der griechischen Philosophie wurde durch Kirchenväter wie Augustinus in die neue Zeit hineingetragen.«
    »Willst du sagen, Augustinus war zu fünfzig Prozent Christ und zu fünfzig Prozent Neuplatoniker?«
    »Er selber hielt sich natürlich für einen hundertprozentigen Christen. Aber er sah keinen scharfen Widerspruch zwischen Christentum und platonischer Philosophie. Ihm erschienen die Parallelen zwischen Platons Philosophie und der christlichen Lehre als so auffallend, dass er sich fragte, ob Platon nicht zumindest Teile des Alten Testamentes gekannt haben könnte. Das ist natürlich sehr zweifelhaft. Wir können eher behaupten, Augustinus habe Platon ›christianisiert‹.«
    »Er hat jedenfalls nicht alles, was mit Philosophie zu tun hatte, verworfen, obwohl er nun an das Christentum glaubte?«
    »Er hat aber gezeigt, dass es Grenzen dafür gibt, wie weit die Vernunft in religiöse Fragen hineinreichen kann. Das Christentum ist auch ein göttliches Mysterium, dem wir uns nur durch den Glauben nähern können. Aber wenn wir ans Christentum glauben, wird Gott unsere Seele ›erleuchten‹ und dann erlangen wir eine Art übernatürliches Wissen von Gott. Augustinus selber hatte erlebt, dass die Philosophie nicht unbegrenzt weit reichen konnte. Erst als er Christ wurde, fand seine Seele Ruhe. ›Unruhig

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