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Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Titel: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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mit?«
    Sofie nickte kurz und der Mönch fuhr fort:
    »Der größte und wichtigste Philosoph des Hochmittelalters war Thomas von Aquin , der von 1225 bis 1274 lebte. Er stammte aus dem kleinen Städtchen Aquino zwischen Rom und Neapel, arbeitete aber auch als Dozent in Paris. Ich bezeichne ihn als ›Philosophen‹, aber er war ebenso sehr Theologe. Eine wirkliche Trennung zwischen Philosophie und Theologie existierte damals nicht. In aller Kürze können wir sagen, Thomas von Aquin habe Aristoteles auf dieselbe Weise ›christianisiert‹, wie Augustinus das zu Beginn des Mittelalters mit Platon getan hatte.«
    »War das nicht ein bisschen komisch, Philosophen zu christianisieren, die so viele Jahrhunderte vor Christus gelebt hatten?«
    »Das kannst du wohl sagen. Aber unter der ›Christianisierung‹ der beiden großen griechischen Philosophen verstehen wir, dass sie so gedeutet und verstanden wurden, dass sie nicht mehr als Bedrohung der christlichen Lehre betrachtet werden konnten. Über Thomas von Aquin heißt es, er habe ›den Stier bei den Hörnern gepackt‹.«
    »Ich wusste wirklich nicht, dass Philosophie etwas mit Stierkampf zu tun hat.«
    »Thomas von Aquin gehörte zu denen, die die Philosophie des Aristoteles mit dem Christentum vereinbaren wollten. Wir sagen, er habe die große Synthese zwischen Glaube und Wissen geschaffen. Und das gelang ihm, weil er in die Philosophie des Aristoteles eintrat und ihn beim Wort nahm.«
    »Oder bei den Hörnern. Ich habe diese Nacht leider fast nicht geschlafen und deshalb musst du das genauer erklären, fürchte ich.«
    »Thomas von Aquin glaubte nicht an einen unvermeidbaren Widerspruch zwischen dem, was die Philosophie oder die Vernunft uns erzählen, und dem, was die christliche Offenbarung oder der Glaube uns sagt. Sehr oft erzählen Christentum und Philosophie dasselbe. Wir können deshalb mit Hilfe der Vernunft dieselben Wahrheiten ergründen, die wir in der Bibel lesen.«
    »Wie soll das denn möglich sein? Kann die Vernunft uns erzählen, dass Gott die Welt in sechs Tagen erschaffen hat? Oder dass Jesus Gottes Sohn war?«
    »Nein, zu solchen reinen ›Glaubenswahrheiten‹ finden wir nur durch den Glauben und die christliche Offenbarung Zugang. Aber Thomas meinte, es gebe auch eine Reihe ›natürlicher theologischer Wahrheiten‹. Darunter verstand er Wahrheiten, die sowohl durch die christliche Offenbarung als auch durch unsere angeborene oder ›natürliche‹ Vernunft erlangt werden können. Eine solche Wahrheit ist für ihn zum Beispiel, dass es einen Gott gibt. Thomas glaubte also an zwei Wege, die zu Gott führen. Der eine Weg führt über den Glauben und die Offenbarung, der andere Weg über die Vernunft und die Sinne. Von beiden Wegen ist zwar der über den Glauben und die Offenbarung der sicherere, denn man kann sich leicht verirren, wenn man allein der Vernunft vertraut. Aber Thomas geht es ja darum, dass es keinen Widerspruch zwischen der christlichen Lehre und einem Philosophen wie Aristoteles zu geben braucht.«
    »Wir können uns also genauso gut an Aristoteles halten wie an die Bibel?«
    »Nein, nein. Aristoteles legt nur ein Stück des Weges zurück, weil er die christliche Offenbarung nicht gekannt hat. Aber ein Stück Weg zurückzulegen ist nicht dasselbe, wie sich zu verirren. Es ist zum Beispiel nicht falsch zu sagen, dass Athen in Europa liegt. Es ist aber auch nicht sonderlich präzise. Wenn ein Buch dir nur mitteilt, Athen sei eine europäische Stadt, solltest du auch noch in einem Atlas nachschlagen. Und da erfährst du dann die volle und ganze Wahrheit: Athen ist die Hauptstadt von Griechenland, einem kleinen Land in Südosteuropa. Wenn du Glück hast, dann erfährst du vielleicht noch etwas über die Akropolis. Von Sokrates, Platon und Aristoteles ganz zu schweigen.«
    »Aber auch die erste Information über Athen hat gestimmt.«
    »Genau! Thomas will zeigen, dass es nur eine Wahrheit gibt. Wenn Aristoteles etwas aufzeigt, das wir mit der Vernunft als richtig erkennen, dann widerspricht es auch nicht der christlichen Lehre. Einen Teil der Wahrheit können wir also mit Hilfe von Vernunft und Beobachtung erlangen – und von solchen Wahrheiten spricht Aristoteles zum Beispiel, wenn er das Pflanzen- und das Tierreich beschreibt. Einen zweiten Teil der Wahrheit hat Gott uns durch die Bibel offenbart. Aber die beiden Teile der Wahrheit überlappen einander in vielen wichtigen Punkten. Es gibt einige Fragen, die uns die Bibel und die

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