Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Titel: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
, schrieb eine Lobrede ›Über die Würde des Menschen‹. So etwas wäre im Mittelalter unvorstellbar gewesen. Während des ganzen Mittelalters hatte man in allem den Ausgang von Gott genommen. Die Humanisten der Renaissance nahmen den Ausgang vom Menschen selber.«
    »Aber das hatten doch auch die griechischen Philosophen getan.«
    »Deshalb sprechen wir ja auch von einer ›Wiedergeburt‹ des antiken Humanismus. Der Humanismus der Renaissance war jedoch in stärkerem Maße als der der Antike vom Individualismus geprägt. Wir sind nicht nur Menschen, wir sind auch einzigartige Individuen. Dieser Gedanke konnte zu einer fast hemmungslosen Genieverehrung führen. Das Ideal wurde das, was wir als den Renaissancemenschen bezeichnen. Darunter verstehen wir einen Menschen, der sich mit allen Bereichen des Lebens, der Kunst und der Wissenschaft befasst. Das neue Menschenbild zeigte sich außerdem im Interesse an der Anatomie des menschlichen Körpers. Wie in der Antike begann man, Tote zu sezieren, um herauszufinden, wie der Körper aufgebaut ist. Das war sowohl für die Medizin als auch für die Kunst wichtig. In der Kunst wurde es wieder üblich, den Menschen nackt darzustellen. Man kann sagen, das sei nach tausend Jahren der Scham passiert. Der Mensch wagte wieder, er selber zu sein. Er brauchte sich wegen nichts mehr zu schämen.«
    »Das hört sich an wie ein Rausch«, sagte Sofie und beugte sich über das Tischchen, das zwischen ihr und ihrem Philosophielehrer stand.
    »Zweifellos. Das neue Menschenbild führte zu einer ganz neuen Lebensauffassung . Der Mensch war nicht nur für Gott da. Gott hatte den Menschen auch um des Menschen willen erschaffen. Deshalb konnte sich der Mensch hier und jetzt über das Leben freuen. Und wenn der Mensch sich nur frei entfalten konnte, hatte er unbegrenzte Möglichkeiten. Sein Ziel war es, alle Grenzen zu überschreiten. Auch das war etwas anderes als der Humanismus der Antike. Die antiken Humanisten hatten ja gerade betont, dass der Mensch Gemütsruhe, Mäßigung und Beherrschung zeigen müsse.«
    »Aber die Humanisten der Renaissance verloren die Beherrschung?«
    »Sie waren zumindest nicht besonders mäßig. Sie hatten fast das Gefühl, die ganze Welt sei neu erwacht. Dadurch entstand ein Epochenbewusstsein. Jetzt wurde die Bezeichnung ›Mittelalter‹ für alle Jahrhunderte eingeführt, die zwischen der Antike und ihrer eigenen Zeit lagen. In allen Bereichen begann eine einzigartige Blütezeit. Das galt für Kunst und Architektur, Literatur und Musik, Philosophie und Wissenschaft. Ich will ein konkretes Beispiel nennen. Wir haben vom Rom der Antike gesprochen, das stolze Beinamen trug wie ›Stadt der Städte‹ und ›Nabel der Welt‹. Im Laufe des Mittelalters verfiel die Stadt und 1417 hatte die alte Millionenstadt gerade noch 17.000 Einwohner.«
    »Nicht viel mehr als Lillesand.«
    »Der Renaissance-Humanismus setzte es sich zum kulturpolitischen Ziel, Rom wieder aufzubauen. Vor allem wurde nun der große Petersdom über dem Grab des Apostel Petrus errichtet. Und beim Petersdom kann man nun wirklich nicht von Mäßigung oder Beherrschung reden. Mehrere große Namen der Renaissance engagierten sich für das größte Bauprojekt der Welt. Die Arbeiten setzten im Jahre 1506 ein und dauerten geschlagene hundertzwanzig Jahre und erst weitere fünfzig Jahre später war der große Petersplatz vollendet.«
    »Das muss ja eine große Kirche sein.«
    »Sie ist über zweihundert Meter lang und hundertdreißig Meter hoch. Aber damit ist wohl genug über die Kühnheit der Renaissancemenschen gesagt. Es war auch von großer Bedeutung, dass die Renaissance zu einer neuen Naturauffassung führte. Dass sich der Mensch im Dasein zu Hause fühlte – und das Leben auf Erden nicht nur als Vorbereitung auf das Leben im Himmel betrachtete –, schuf eine ganz neue Einstellung der physischen Welt gegenüber. Die Natur galt jetzt als positiv. Viele glaubten auch, Gott sei in der Schöpfung anwesend. Er ist doch unendlich und dann muss er auch überall sein. Eine solche Auffassung wird als Pantheismus bezeichnet. Die Philosophen des Mittelalters hatten immer wieder auf den unüberbrückbaren Abgrund zwischen Gott und der Schöpfung hingewiesen. Jetzt konnte die Natur als göttlich bezeichnet werden – ja, sogar als ›Gottes Entfaltung‹. Solche neuen Gedanken wurden von der Kirche nicht immer wohlwollend aufgenommen. Das Schicksal des Giordano Bruno brachte das in dramatischer Weise zum

Weitere Kostenlose Bücher