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Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie

Titel: Sofies Welt - Roman über die Geschichte der Philosophie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Studium der humanistischen Fächer führte zur ›klassischen Bildung‹, die den Menschen auf eine höhere Daseinsstufe heben sollte. ›Pferde werden geboren‹, hieß es, ›Menschen dagegen werden nicht geboren, sie werden gebildet.‹«
    »Wir müssen also zum Menschen erzogen werden?«
    »Ja, das dachten sie damals. Aber ehe wir uns die Ideen des Renaissance-Humanismus näher ansehen, werden wir den politischen und kulturellen Hintergrund der Renaissance zur Sprache bringen.«
    Alberto stand auf und fing an, im Zimmer herumzuwandern. Dann blieb er stehen und zeigte auf ein sehr altes Instrument in einem Regal. »Was ist das?«, fragte er.
    »Das sieht aus wie ein alter Kompass.«
    »Stimmt.«
    Jetzt zeigte er auf ein altes Gewehr an der Wand über dem Sofa.
    »Und das?«
    »Ein sehr altes Gewehr.«
    »Na gut – und das?«
    Alberto zog ein großes Buch aus dem Regal.
    »Das ist ein altes Buch.«
    »Um genauer zu sein, eine Inkunabel.«
    »Eine Inkunabel?«
    »Das Wort bedeutet eigentlich ›Wiege‹. So nennt man Bücher, die in der Kindheit der Buchdruckerkunst gedruckt worden sind. Das heißt, vor dem Jahr 1500.«
    »Ist es wirklich so alt?«
    »So alt, ja. Und gerade diese drei Erfindungen, die wir hier vor uns sehen – Kompass, Pulver und Buchdruckerkunst –, sind wichtige Voraussetzungen für die neue Zeit, die wir Renaissance nennen.«
    »Das musst du mir genauer erklären.«
    »Der Kompass erleichterte das Navigieren. Er war mit anderen Worten eine wichtige Voraussetzung für die großen Entdeckungsreisen. Was übrigens auch für das Pulver galt. Die neuen Waffen brachten den Europäern Überlegenheit über die amerikanischen und asiatischen Kulturen. Aber auch in Europa erlangte das Pulver große Bedeutung. Und die Buchdruckerkunst war wichtig, um die neuen Gedanken des Renaissance-Humanismus zu verbreiten. Sie trug nicht zuletzt dazu bei, dass die Kirche ihr altes Monopol als Wissensvermittlerin verlor. Später folgten neue Instrumente und neue Hilfsmittel am laufenden Band. Ein wichtiges Instrument war zum Beispiel das Fernrohr. Es schuf völlig neue Bedingungen für die Astronomie.«
    »Und am Ende kamen Raketen und Mondlandungsfahrzeuge?«
    »Jetzt gehst du ein bisschen zu schnell vor. Aber während der Renaissance setzte ein Prozess ein, der die Menschen schließlich auf den Mond bringen sollte. Oder auch nach Hiroshima und Tschernobyl. Aber zuerst kam eine Reihe von Veränderungen im kulturellen und ökonomischen Bereich. Eine wichtige Voraussetzung war der Übergang von der Naturalienwirtschaft zur Finanzwirtschaft. Am Ende des Mittelalters gab es Städte mit einem blühenden Handwerk und fleißigen Händlern, mit einer Finanzwirtschaft und einem Bankwesen. Auf diese Weise entstand ein Bürgertum, das sich eine gewisse Unabhängigkeit von den natürlichen Lebensbedingungen erarbeitet hatte. Was man zum Leben brauchte, war nun für Geld zu kaufen. Diese Entwicklung förderte den Fleiß, die Phantasie und die Kreativität des Einzelnen. Und an das Individuum wurden völlig neue Forderungen gestellt.«
    »Das erinnert ein bisschen an die Entstehung der griechischen Städte zweitausend Jahre zuvor.«
    »Kann schon sein. Ich habe erzählt, wie sich die griechischen Philosophen vom mythischen Weltbild der Bauernkultur befreit hatten. Auf dieselbe Weise begannen die Bürger der Renaissancezeit, sich von Feudalherren und der Kirchenmacht zu befreien. Gleichzeitig wurde aufgrund eines engeren Kontaktes mit den Arabern in Spanien und der byzantinischen Kultur im Osten die griechische Kultur wieder entdeckt.«
    »Die drei Flüsse aus der Antike vereinigten sich zu einem einzigen großen Strom.«
    »Du bist eine aufmerksame Schülerin. Aber das muss als Hintergrund für die Renaissance ausreichen. Ich werde dir jetzt über das neue Denken erzählen.«
    »Schieß los. Aber ich muss zum Abendessen nach Hause.«
    Zuerst nahm Alberto wieder auf dem Sofa Platz.
    »Vor allen Dingen führte die Renaissance zu einem neuen Menschenbild . Die Humanisten der Renaissance entwickelten einen ganz neuen Glauben an den Menschen und seinen Wert, was in scharfem Kontrast zum Mittelalter stand, wo einseitig die sündhafte Natur des Menschen betont worden war. Der Mensch wurde nun als etwas unendlich Großes und Wertvolles betrachtet. Eine Zentralfigur der Renaissance hieß Marsilio Ficino . Er rief aus: ›Erkenne dich selbst, o göttliches Geschlecht in menschlicher Verkleidung!‹ Ein anderer, Giovanni Pico della Mirandola

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